Nanomotoren in Natur und Technik
In dieser Unterrichtseinheit zum Thema ATP-Synthase lernen die Schülerinnen und Schüler den prinzipiellen Mechanismus der Energieumwandlung kennen. Die Lernenden beschäftigen sich mit dieser natürlichen Nanomaschine sowie mit den ersten Chimären aus Natur und Technik und sie setzen sich mit den zukünftigen Einsatzmöglichkeiten auseinander.Nanotechnologie und Nanobiotechnologie gelten mit ihren immensen Anwendungsmöglichkeiten als wichtige Zukunftstechnologien. Sie faszinieren wissenschaftliche Laien und junge Menschen gleichermaßen und sind daher auch in der Berichterstattung der Medien in Mode gekommen. Selbst Grundlagen werden dabei oft falsch oder futuristischste Szenarien werden als greifbare Realität dargestellt. Im Sinne der Wissenschaftskommunikation ("Public Understanding of Sciene") muss es auch eine Aufgabe des naturwissenschaftlichen Unterrichts sein, die molekularen Grundlagen zum Verständnis der Nanobiotechnologie zu vermitteln und Schülerinnen und Schülern so die kritische Hinterfragung populärwissenschaftlicher Medienbeiträge zu ermöglichen. Dies ist gerade im Zusammenhang mit neuen Technologien auch für die Meinungsbildung in einer Demokratie wichtig. Trotz der restriktiven Bedingungen der Unterrichtspraxis ist es daher wichtig, auch einmal einen Blick auf das anspruchsvolle Thema Nanobiotechnologie zu werfen - zum Beispiel im Zusammenhang mit der Besprechung der ATP-Synthase. Voraussetzungen und Anknüpfungsmöglichkeiten im Unterricht Das sehr anspruchvolle Thema bietet sich als Unterpunkt eines Schwerpunktvorhabens (NRW) oder Projektunterrichts zur Biotechnologie an. Voraussetzung ist, dass die Schülerinnen und Schüler den "molekularen Motor" ATP-Synthase entweder bei der Besprechung der Zellatmung oder bei der Photophosphorylierung in der Photosynthese kennen gelernt haben. Kenntnisse über den Bau und die Funktion der jeweiligen Membransysteme und deren Proteinkomplexe sowie das Prinzip des Ionengradienten und der Energieumwandlung sollten bekannt sein. Jahrgangsstufe 11 Das Thema kann im Anschluss an die Zellatmung in den Unterricht miteinbezogen werden. Jahrgangsstufe 13 Hier kann das Thema als Zusatz zur Evolution unter dem Aspekt der Evolution energieabhängiger Prozesse thematisiert werden (Evolution der ATP-Synthasen). Jahrgangsstufe 11-13 In der gesamten Sekundarstufe II können Nanomotoren unter dem in der Biologie elementaren Aspekt von "Struktur und Funktion" betrachtet werden. Unterrichtsverlauf "Nanomotoren in Natur und Technik" Unterrichtsverlauf "Nanomotoren in Natur und Technik" Die Schülerinnen und Schüler lernen natürliche und hybride Nanomotoren kennen und präsentieren Ihre Ergebnisse mithilfe der "Museumsgang"-Methode. Die Schülerinnen und Schüler erwerben grundlegendes Wissen über den 3D-Aufbau der Rotationsmaschine ATP-Synthase (Tertiär und Quartärstruktur). können prinzipielle Struktur-Funktionsbeziehungen begreifen und erklären. lernen die wichtigsten Mechanismen der Zelle, chemische Energie in Bewegung umzuwandeln, kennen. begreifen Proteinkomplexe in ihrer Eigenschaft als Motoren. lernen Anwendungsmöglichkeiten für Nanomotoren kennen und entwickeln selber Ideen. begreifen die Natur als Vorbild für technische Umsetzungen und entwickeln dadurch ein Grundverständnis für die Bionik. lernen Utopien und unwissenschaftliche Presseberichte analysieren und auf ihren sachlichen Gehalt reduzieren. Einstieg: Anregungen aus der "Nanozukunft" Als Einstieg und zur Motivierung der Schülerinnen und Schüler werden einige futuristisch anmutende Texte gelesen oder von der Lehrkraft vorgestellt, zum Beispiel zum Thema Nanomotoren für medizinische und pharmazeutische Anwendungen. Arbeitsblatt 1 (nanomotor_ab1.rtf) enthält eine Liste mit Links zu geeigneten Onlineartikeln. Partnerarbeit: ATP-Synthase Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten in Partner- oder Kleingruppenarbeit die Arbeitsblätter mit Informationen und Links zu dem "natürlichen Nanomotor" ATP-Synthase (nanomotor_ab2.pdf, nanomotor_ab3.pdf). Animationen aus dem Internet visualisieren die Bewegungsabläufe in beiden ATP-Synthase-Teilen. Gruppenarbeit: "Hybride Nanomotoren" Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten in Gruppenarbeit die verschiedenen Rotationsmodelle von Nanomotoren im Vergleich mit der Bewegung der natürlichen ATP-Synthase (F1/Actin, F1/F0/Actin, F1/F0/Nanovesikel, lichtgetriebene Rotation in Kombination mit Bacteriorhodopsin). Sie informieren sich dazu mithilfe von Arbeitsblatt 4 (nanomotor_ab4.pdf) und Arbeitsblatt 5 (nanomotor_ab5.pdf). Jede Expertengruppe erstellt dann ein Poster von ihrem Modell. Museumsgang: Präsentation der Ergebnisse (Poster-Ausstellung) Zum Abschluss werden neue Gruppen gebildet, in denen sich jeweils ein Schüler oder eine Schülerin aus jeder Expertengruppe befindet. Die jeweiligen Poster-Experten stellen Ihr Plakat den anderen vor. Hierbei wird die "Museumsgang"-Methode eingesetzt. Wie werden Bakteriengeißeln angetrieben und wodurch rotiert die ATP-Synthase, die wichtigste ATP-liefernde "Maschine" der Zellen? In beiden Fällen stammt die Energie aus einem transmembranen Ionengradienten. Sowohl der Geißelmotor als auch die ATP-Synthase sind Rotationsmotoren, wobei der Geißelmotor zehnmal so groß ist wie die ATP-Synthase (40 Nanometer Durchmesser). Nach den Vorbildern aus der Biologie versuchen Wissenschaftler technisch und medizinisch nutzbare Nanomotoren zu entwickeln. Ein erster Schritt dabei ist das Verständnis von Struktur und Funktion der Biomoleküle. In einem zweiten Schritt sind dann strukturelle Veränderungen erforderlich, um die Nanomotoren an ihre neuen Aufgaben anzupassen. Aufbau und Energiequellen Die ATP-Synthase besteht aus zwei sich gegenüberstehenden Rotationsmotoren, die in Serie geschaltet und über einen "Proteinstab" miteinander verbunden sind. Der F1-Motor, der "Kopf" der ATP-Synthase, besteht aus sechs alternierend und wie die Stücke einer Apfelsine angeordneten alpha- und beta-Untereinheiten. Im Zentrum des Kopfes bilden die gamma- und die epsilon-Untereinheit eine Art Achse. Je eine alpha- und eine beta-Einheit enthalten zusammen eine katalytische Nukleotidbindungsstelle, an die ATP beziehungsweise ADP und anorganisches Phosphat gebunden werden. Der membranständige F1-Motor wird durch die Energie aus der Hydrolyse von ATP angetrieben, wobei sich die zentrale Achse (gamma- und die epsilon-Untereinheit) dreht. Der transmembrane F0-Motor wird dagegen durch die Protonenmotorische Kraft ("Proton Motive Force", PMF) bewegt, die sich aus dem Membranpotential und dem Protonengradienten über der Membran zusammensetzt. Mehrere kleine Untereinheiten im F0-Komplex fungieren als Statoren (Ständer), die den Rotor fixieren und in seiner Membranposition halten. Bildung von ATP oder Pumpen von Protonen Unter normalen physiologischen Bedingungen der Photosynthese und der Zellatmung treibt der F0-Motor den an ihn gekoppelten F1-Motor in Richtung ATP-Synthese an. In einigen Bakterien kann bei niedriger PMF, zum Beispiel unter anaeroben Bedingungen, der F1-Motor aber auch ATP hydrolysieren und mithilfe der dadurch gewonnenen Energie den F0-Motor rückwärts laufen lassen, so dass er wie eine Protonenpumpe funktioniert. Der F0- und der F1-Motor stehen für die beiden prinzipiellen Mechanismen der Zelle, chemische Energie in mechanische Kraft umzuwandeln (Protonenmotorische Kraft und ATP-Hydrolyse). Der Geißelmotor der Bakterien ist das Kraftwerk unter den Proteinmotoren. Er generiert Beschleunigungen von etwa 200 picoNewton (pN) am Rotorrand, viel mehr als jeder andere bekannte Proteinmotor. Ein Bakterium legt damit pro Sekunde einen Strecke von etwa 20 Eigenlängen zurück - und bewegt sich damit im Vergleich zu einem modernen U-Boot fünfzigmal schneller! Wie der F0-Motor besitzt der "Bacterial Flagellar Motor" (BFM) einen transmembranen Rotor, der im Gegensatz zur ATP-Synthase von mindestens acht peripheren Statoren (Ständern) stabilisiert wird. Als Energiequelle dient wie bei der ATP-Synthase ein Ionengradient (Protonen oder Natriumionen). Für jede Umdrehung des Motors müssen 1.200 Protonen durch den Rotor fließen. Der protonengetriebene Motor rotiert mit 300 Hertz, der mit Natriumionen angetriebene mit 1.700 Hertz! Der Mechanismus der Energieumwandlung ist noch nicht vollständig geklärt. Carlo Montemagno und seine Kollegen von der amerikanischen Cornell Universität konstruierten bereits 1999 einen der ersten funktionsfähigen Nanomotoren, indem sie biologische und anorganische Komponenten miteinander kombinierten. Der Hybridmotor besteht aus einem gentechnisch veränderten ATP-Synthase-Kopf und einem daran angebrachten winzigen Nickel-Propeller (Durchmesser etwa 150 Nanometer, Länge 750 Nanometer). Dank der durch ATP-Hydrolyse gelieferten Energie rotierten die Nanopropeller mit immerhin acht Umdrehungen pro Sekunde. Man kann diese Drehbewegung über Rastersondenmikroskopie sichtbar machen. Ein Problem ist die kontinuierliche Versorgung des Motors mit Energie. Im Experiment wird ATP zugegeben und zu ADP und Phosphat hydrolysiert, wodurch die Drehbewegung in der ATP-Synthase zustande kommt. In anderen Experimenten wurde die ATP-Synthase (in ihrer natürlichen Form) zusammen mit Bakteriorhodopsin als gekoppeltes System in Liposomen eingebaut. Mithilfe des Sonnenlichts generiert das Bacteriorhodopsin über der Vesikelmembran einen Protonengradienten, der die ATP-Synthasen antreibt. Beim Durchfluss von Protonen durch den Kanalteil der ATP-Synthase (F0) wird auch der Rotationsmotor im Kopf des Enzyms gedreht. 3D-Struktur von Bacteriorhodpsin Unter dem "Still Image" finden Sie einen "Interactive View", den Sie mit dem Curser "anfassen, drehen und wenden können". Wie die Kombination von Bacteriorhodopsin und ATP-Synthase für die Konstruktion medizinisch verwendbarer "Nanofähren" genutzt werden kann, ist bislang unklar. Es wurden auch Untersuchungen zur Schaltung des Motors durchgeführt. Aber auch hierzu konnten bislang keine befriedigenden Lösungen entwickelt werden. Der Einsatz winziger Propeller-Maschinchen als Nanofähren, die Medikamente im Körper von Patienten zielsicher an den gewünschten Ort transportieren, ist heute noch eine Utopie.