Ein Betrieb sucht Auszubildende
Unterrichtseinheit
Auch wenn es einen dramatischen Lehrstellenmangel zu beklagen gibt, gibt es immer wieder Betriebe, die keine geeigneten oder gar keine Auszubildenden finden können. Im Rahmen der hier vorgestellten Projektidee betrachten die zukünftigen Auszubildenden die Lehrstellenproblematik einmal aus der Warte eines solchen Unternehmens - und überdenken vielleicht noch einmal ihren Berufswunsch.Im Rahmen einer Fallstudie sollen sich die Schülerinnen und Schüler in die betriebliche Realität eines mittelständischen Unternehmens hinein versetzen, vor allem in dessen Ziele, Probleme und Handlungszwänge im Bereich der Einstellung von Auszubildenden. Damit reflektieren sie nicht nur die Interessenslage der Ausbildungsbetriebe, sondern realisieren auch die eindeutigen Vorlieben ihrer Generation bei der Suche nach Ausbildungsplätzen.Das hier präsentierte Zahlenmaterial, die Verweise auf Internetressourcen und das spezielle Berufsbild des Galvaniseurs, der Galvaniseurin sind zugeschnitten auf ein Galvanikunternehmen in Schwäbisch-Gmünd, der Umicore Galvanotechnik GmbH. Das Projekt wird für Schülerinnen und Schüler außerhalb Baden-Württembergs sicher spannender, wenn die Lehrkraft ein Fallbeispiel der heimischen Region aufspürt. Übertragbarkeit des Projekts Die Unterrichtseinheit greift ein grundlegendes und auch für die nächsten Jahre zentrales Problem des Ausbildungsmarktes auf. Sie ist daher sowohl in Baden-Württemberg als auch im ganzen Bundesgebiet leicht auf andere Unternehmen sowie regionale Lehrstellenmärkte übertragbar. Projektvorbereitung und Einsatz der Materialien Projektdurchführung Die Schülerinnen und Schüler sollen die Berufsbilder Galvaniseur und Chemikant kennen lernen. sich in die Anbieterposition auf dem Lehrstellenmarkt hineinversetzen, indem sie sich in die betriebliche Realität eines mittelständischen Unternehmens hineindenken. indirekt die eigenen Berufswünsche und -präferenzen überdenken. die aktuelle Situation auf dem regionalen Ausbildungsmarkt erkunden. in gemeinsamer Projektarbeit Lösungsvorschläge für ein Unternehmen erarbeiten. durch Internetrecherche die benötigten Informationen zusammentragen. Thema Ein Betrieb sucht Auszubildende Autor Dr. Peter Kührt Fach Berufsvorbereitung Zielgruppe 9. und 10. Jahrgangsstufe Zeitumfang drei bis fünf Unterrichtsstunden Technische Voraussetzungen mindestens fünf Computer mit Internetanschluss Unternehmen vor Ort Die Lehrkraft vor Ort sollte sich rechtzeitig vor Projektbeginn ein Unternehmen am Ort suchen, das Lehrlinge sowohl im gewerblich-technischen als auch im kaufmännischen Bereich ausbildet. Hilfestellungen hierfür können die örtlichen Industrie- und Handwerkskammern leisten. Sinnvoll wäre ein persönlicher Kontakt mit der Ausbildungsleitung in der ausgewählten Unternehmung, um Kooperationsmöglichkeiten zu erkunden. Informationen im Internet Voraussetzung für die Unterrichtseinheit ist weiterhin, dass im Internet oder in Printform Informationen über das Unternehmen, die dort vorfindbaren Lehrberufe und die Jugendarbeitslosigkeit in der Region beziehungsweise dem Bundesland vorhanden sind. Beispiel Umicore Galvanotechnik GmbH Im vorliegenden Fall wurde mit der Umicore Galvanotechnik GmbH in Schwäbisch Gmünd ein Unternehmen ausgewählt, das als frühere Degussa-Tochter Prozesse zur galvanischen Beschichtung erforscht und entwickelt. Die mittelständische Unternehmung mit circa 80 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen am Firmensitz ist weltweit tätig und gehört zu den führenden Anbietern von galvanischen Edelmetall-Elektrolyten und Spezialverfahren für die Galvanotechnik. Internationale Verflechtungen des Unternehmens Die Umicore Galvanotechnik GmbH gehört seit dem 01.10.2003 zum belgischen Umicore-Konzern. Fallschilderung und Erarbeitung der Problemstellung Anhand der Folie "Bewerber und Einstellungszahlen bei Umicore" werden die Schülerinnen und Schüler mit der unzureichenden Bewerberlage und Einstellungssituation bei dem ausgewählten Unternehmen konfrontiert. Ausbildungsberufe Bürokaufmann Galvaniseur Chemikant Planstellen 2 2 1 Bewerbungen 53 9 3 Einstellungen 0 2 1 Projektdefinition und Auftragsvergabe Die Klasse erhält nun den Auftrag, die Gründe für die Ausbildungsmisere des Unternehmens herauszufinden und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Alle weiteren Arbeitsschritte können die Schülerinnen und Schüler dem Projektleitfaden entnehmen, den alle Projektteilnehmer und -teilnehmerinnen in Kopie erhalten. Dabei wird die gesamte Klasse als Unternehmensberatungsbüro definiert, das für das auftraggebende Unternehmen einen Lösungsvorschlag erarbeiten und diesen auf einer Abschlusssitzung präsentieren muss. Die Lehrkraft erteilt der Unternehmensberatung im Namen des auftraggebenden Unternehmens formell den Beratungsauftrag. Arbeitsziel Die zwei grundlegenden Fragestellungen sind sicherlich Woran liegt es, dass das Unternehmen nicht genügend geeignete Bewerber oder Bewerberinnen findet? Was könnte man dagegen tun? Aus diesen Ausgangsfragen lassen sich eine Reihe von Themenkomplexen ableiten, die dann als Leitthemen für die Projektgruppenarbeit dienen können: Art der Ausbildungsplätze beziehungsweise -berufe Qualität der Ausbildung im Betrieb Bekanntheitsgrad des Unternehmens Finanzielle Situation des Unternehmens Image der Branche Gesamtwirtschaftliche Lage Staatliche Förderung für Nichterwerbstätigkeit Leistungsbereitschaft, Ansprüche und Vorlieben der Bewerberinnen und Bewerber Kenntnisse und Fähigkeiten der Bewerber Mithilfe einer Clusterbildung an einem Flipchart, in dem die Themen zu Komplexen zusammengeführt werden, lassen sich Aufgabenstellungen für die Projektgruppen festlegen. Dies kann unter Anleitung der Lehrkraft durch die Schülerinnen und Schüler selbst erfolgen. Insgesamt sollten etwa fünf Arbeitsgruppen gebildet werden. In sehr selbstständig arbeitenden Klassen könnte man zusätzlich je eine Leitungs- und Dokumentationsgruppe einrichten. Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten den Fragekomplex ihrer Projektgruppe und nutzen dafür unter anderem folgende Links: www.umicore-galvano.com Umicore Galvanotechnik GmbH in Schwäbisch Gmünd www.umicore.com Belgische Muttergesellschaft des Konzerns www.was-werden.de Chemikant und andere Berufsbilder Meilenstein-Sitzung: Bestandsaufnahme Die Gruppen präsentieren ihre Ergebnisse. Daran schließen sich ein erster Erfahrungsaustausch und die Planung der weiteren Projektarbeit an. Die Arbeitsgruppen lesen die Statements verschiedener Personen und die angegebenen Artikel. Die Schülerinnen und Schüler diskutieren nun in ihrer Arbeitsgruppe weiter. Sie beschreiben in Stichworten die Probleme des Unternehmens und ihre Ursachen und versuchen dann, erste Lösungsideen zu entwickeln. Abschließend erarbeiten die Gruppen die endgültigen Lösungsvorschläge für die Leitfrage beziehungsweise die Teilaufgabe ihrer Arbeitsgruppe. Ursachenanalyse Meilenstein-Sitzung: Problemanalyse Die Gruppen setzen sich wieder zusammen und vergleichen ihre Überlegungen. Abschließend erarbeiten die Gruppen die endgültigen Lösungsvorschläge für die Leitfrage beziehungsweise die Teilaufgabe ihrer Arbeitsgruppe. Ursachenanalyse Das Unternehmensberatungsbüro trägt in Anwesenheit des auftragerteilenden "Unternehmers" die Analyseergebnisse und Verbesserungsvorschläge vor. Schlechter Ruf der Chemiebranche Als Galvanikunternehmen leidet die Umicore Galvanotechnik GmbH unter dem schlechten Ruf der Chemiebranche, die in der Öffentlichkeit trotz deutlicher Verbesserungen im Produktionsbereich und immenser Public Relations-Anstrengungen noch immer gedanklich mit erheblichen Umweltbelastungen verbunden wird. Auch galvanische Prozesse werden möglicherweise noch immer mit den früheren Eigenschaften "dreckig" und "stark riechend" in Verbindung gebracht. Die Unternehmung wird daher durch eine entsprechende Selbstdarstellung in der regionalen Öffentlichkeit weitere Anstrengungen unternehmen müssen, das negative Branchenimage zu verbessern. Vordringlich ist, die Öffentlichkeit von der immensen Verbesserungen der Produktionsabläufe und der Umweltbelastungen zu überzeugen. Dazu gehören auch Aktivitäten, Events und Werbemaßnahmen, die auf die zukünftigen Auszubildenden und dereren Eltern und Lehrer gerichtet sind. Fehlende unternehmerische Identität Als kleine Tochterunternehmung großer Konzerne wurde die Umicore Galvanotechnik GmbH bereits wiederholt an andere Konzerne verkauft, was Umfirmierungen zur Folge hatte. Durch den wiederholten Namenswechsel konnte das Unternehmen in der breiten Öffentlichkeit keine Identität entwickeln. Die Umicore Galvanotechnik GmbH wird von der Bevölkerung Schwäbisch Gmünds noch immer als Tochter des Degussa-Konzerns gesehen. Die heutige Firma ist Eltern, Lehrern und Schülern weitgehend unbekannt. Hoher Ausbildungsstandard Als international orientierte und innovative Unternehmung benötigt die Umicore Galvanotechnik GmbH hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind das "Kapital" eines Unternehmens, das forscht und individuelle Problemlösungen für seine Kunden entwickeln muss. Der hohe Ausbildungsstandard des Unternehmens kann aber nur mit guten und lernwilligen Auszubildenden gehalten werden. Gute Deutsch-, Mathematik- und teilweise auch Fremdsprachenkenntnisse sind obligatorisch, ein Grundverständnis für Chemie erwünscht. Mangelhafte Kenntnisse und Fertigkeiten der Lehrstellenbewerber insbesondere im schulischen Bereich kann die Unternehmung nur in begrenztem Maße durch eigene Maßnahmen ausgleichen (Nachhilfe, innerbetriebliche Fördermaßnahmen, Praktikumstellen für Schüler, Kontakt mit den Schulen in Schwäbisch Gmünd), da es sich hier um gesamtgesellschaftliche Problemstellungen handelt. Indirekt könnte das Unternehmen versuchen, über die zuständige Industrie- und Handelskammer als Träger der dualen Ausbildung und die eigenen Standesorganisationen (Arbeitgeberverband Gesamtmetall) auf die für die Schulpolitik Verantwortlichen einzuwirken. Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft gefordert In einem mittelständischen Unternehmen muss jeder Mitarbeiter engagiert bei der Sache sein und Verantwortung übernehmen. Dies wird von der Unternehmung auch durch relativ verantwortungsvolle und gut dotierte berufliche Positionen honoriert. Eine permanente Fort- und Weiterbildung aller Beschäftigten ist unumgänglich. Personal zur Überwachung der Arbeiter und Angestellten ist nicht vorhanden. Mitarbeiter und Auszubildende, die nicht von sich aus in hohem Maße leistungsbereit, persönlich engagiert, hochmotiviert und mit Freude bei der Arbeit sind, sind daher für das Unternehmen wertlos und schaffen mehr Folgeprobleme und -kosten als Ertrag. Die Einflussmöglichkeiten auf das Lebensgefühl einer Jugendgeneration scheint sehr begrenzt. Die Unternehmung kann nur versuchen, durch entsprechende Werbemaßnahmen und Selektionsverfahren leistungsfähige Auszubildende zu gewinnen. Denkbar wäre auch, sich aus der Lehrlingsausbildung zurückzuziehen und stärker auf ältere Arbeitnehmer zu setzen, die die erforderliche Ernsthaftigkeit und Leistungsbereitschaft besitzen. White-Collar-Berufe bevorzugt Der Großteil der Jugendlichen von heute strebt in "White Collar"-Berufe und Modeberufe (zum Beispiel Bankkaufmann/frau). Die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und die heutige Arbeitsrealität von gewerblich-technischen Berufen werden nicht erkannt. Dem negativen Bild der technischen Berufe kann man sicherlich nur durch Aufklärung begegnen. Schlechte Qualifikation der Auszubildenden Nimmt man die verbreiteten Klagen von Ausbildungsbetrieben Ernst, haben die heutigen Schülerinnen und Schüler schlechtere Qualifikationen (Deutsch, Mathematik) und eine geringere Leistungsbereitschaft als früher. Zudem fehlen nach dem Bekunden der Unternehmen Schlüsselqualifikationen und soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Ausdauer oder die Bereitschaft und Fähigkeit, komplexe und schwierige Problemstellungen eigenverantwortlich und kreativ zu lösen und sich die hierfür erforderlichen Kenntnisse selbstständig anzueignen.