Die Debatte um das Kopftuch

Das Grundgesetz garantiert allen Menschen Religionsfreiheit und das Recht auf Gleichberechtigung. Bei muslimischen Traditionen gilt es teilweise abzuwägen, welches Recht höher zu bewerten ist. Ein Beispiel für den Konflikt ist das so genannte Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Der Stein des Anstoßes und das doppeldeutige Urteil

In der Vergangenheit wurden immer wieder Konflikte zwischen muslimischen und deutschen Traditionen oder Auffassungen vor Gericht verhandelt (zum Beispiel bei der Frage des Schächtens von Tieren oder der Frage, ob eine Verkäuferin in einem Kaufhaus von der einheitlichen Arbeitskleidung abweichen und ein Kopftuch tragen darf). Das jüngste Beispiel ist der Fall von Fereshta Ludin, einer Lehrerin aus Baden-Württemberg. Fünf Jahre lang kämpfte sie mit der deutschen Justiz, um durchzusetzen, dass sie mit einem Kopftuch bekleidet ihren Beruf ausüben darf. Für die Lehrerin, die aus Afghanistan stammt und in Deutschland studiert hat, ist das Islam: Die Bedeutung des Kopftuchs/Schleiers Ausdruck ihre Glaubens und ihrer Würde. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass Fereshta Ludin ihr Kopftuch in der Schule tragen darf. Der Haken bei dem Urteil: Das Bundesverfassungsgericht betonte, die Bundesländer dürften das Tragen des Kopftuchs nur verbieten, wenn sie ein entsprechendes Gesetz dafür verabschieden. Und das wollen einige Bundesländer jetzt tun.

Die Kopftuch-Gegner

Für Fereshta Ludins Chefs in der Schulaufsicht ist das Kopftuch ein Symbol für islamischen Fundamentalismus und ein Symbol für die Ungleichheit von Mann und Frau. Solche Symbole hätten in der Schule nichts zu suchen - schließlich haben Lehrerinnen und Lehrer eine Vorbildfunktion und den Auftrag, alle Schülerinnen und Schüler gleich zu erziehen. Lehrkräfte, die eine fundamentalistische Einstellung offen zur Schau trügen, hätten im Staatsdienst nichts zu suchen, so die Kritiker des Kopftuchs.

Die Kopftuch-Befürworter

Wer das Kopftuch aus diesen Gründen verbiete, so sagen seine Befürworter, müsse auch die Kruzifixe in den Räumen staatlicher Schulen abhängen - denn auch das Kreuz sei ein klares religiöses Bekenntnis, das auf die Schülerinnen und Schüler wirke. Während in anderen Ländern streng zwischen Religion und Staat getrennt wird, etwa in Frankreich und in der Türkei, gibt es in Deutschland keine klaren Trennlinien. Auch in staatlichen Schulen können Geistliche Religionsunterricht erteilen - und sie dürfen das in vollem Ornat. Da erscheint es schwierig, einer Deutsch- oder Chemielehrerin das Tragen ihres Kopftuchs zu verbieten.

Religionsfreiheit oder Gleichberechtigung

Daher erwies sich der Kopftuch-Fall als juristisch heikel: Bis zum Bundesverfassungsgericht, dem höchsten Gericht der Bundesrepublik, durchlief der Streit alle Instanzen. Denn die Gesetzeslage ist nicht einfach. Das Grundgesetz garantiert allen Bürgerinnen und Bürgern Religionsfreiheit. Bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes nach dem Zweiten Weltkrieg (es trat am 23. Mai 1948 in Kraft) wurde aufgrund der Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur ganz besonders auf eine Garantie für Meinungsfreiheit und die Freiheit der Religionsausübung geachtet. Sie besitzen seitdem einen besonders wichtigen und schützenswerten Stellenwert. Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert die "Freiheit des weltanschaulichen und religiösen Bekenntnisses". Doch die Toleranz gegenüber Religionen kann nur so weit reichen, wie diese Religionen gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften tolerant sind. Im Grundgesetz ist ebenso wie die Religionsfreiheit die Gleichheit von Mann und Frau garantiert: Jeder muss die gleichen Chancen haben. In der Vergangenheit sorgten allerdings Gerichtsurteile zum Nachteil von Frauen für Aufsehen. Richter fällten in einigen Fällen Urteile, in denen sie die Religionsfreiheit vor die Gleichberechtigung von Männern und Frauen setzten, indem sie etwa durchsetzten, dass Mädchen auf Wunsch der Eltern aus religiösen Gründen die Teilnahme am Sportunterricht oder an Klassenfahrten verboten wird.

Die Zukunft des Kopftuchs hängt von den Bundesländern ab

Im Kopftuchstreit wussten selbst die Verfassungsrichter nicht so recht weiter: Sie verwiesen den Fall zurück an die Politik. Jedes Bundesland muss nun entscheiden, ob es Lehrerinnen das Kopftuch erlauben oder verbieten will. Die unionsregierten Länder Hessen und Bayern planen jetzt, muslimischen Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern im Unterricht zu verbieten. Die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz (hier gibt es eine Koalition von SPD und FDP) und Nordrhein-Westfalen (Koalition von SPD und Bündnis90/Die Grünen) planen dagegen keine neuen Gesetzentwürfe und wollen muslimische Lehrerinnen nicht allein wegen des Tragens von Kopftüchern aus dem Schulbetrieb ausschließen. Je nach Bundesland werden also unterschiedliche Regelungen getroffen werden. Verbietet ein Bundesland das Tragen des Kopftuchs im Schuldienst, besteht jedoch die Gefahr, dass wieder geklagt wird - wegen der Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit.

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W. Bauchhenß und M. Bornkessel

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