Partizipation im Unterricht stärken durch ästhetische Lernzugänge

Fachartikel

Anhand von Beispielen aus Schulentwicklungsprogrammen zur Förderung Kultureller Bildung zeigt dieser Artikel, wie ästhetische Zugänge im Unterricht die Teilhabe von Schülerinnen und Schülern ermöglichen und zu ihrer Kompetenzentwicklung beitragen.

Die Lehr-Lernkultur an einer Schule zu gestalten ist eine Gemeinschaftsaufgabe: Lehrkräfte schaffen die Voraussetzungen

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass Schülerinnen und Schüler für sich an Schulen keine ausreichenden Beteiligungsmöglichkeiten sehen (Bertelsmann Stiftung 2019: 60-63). Lehr- und Lernkulturen sind jedoch eine Gemeinschaftsleistung der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler zugleich. Die Voraussetzung dafür wird von den Lehrkräften geschaffen. Letztlich profitieren auch sie von der aktiven Beteiligung ihrer Schülerinnen und Schüler im Unterricht, weil sie dadurch zufriedener und motivierter während ihres Arbeitsalltags sind (Meyer 2013: 47-55).

Für Schülerinnen und Schüler ist es wichtig, Selbstwirksamkeit im Unterricht zu erfahren. Schule und alle, die daran beteiligt sind, sehen sich in der Verantwortung, dass ihre Schülerinnen und Schüler das Bewusstsein entwickeln, mit ihrem Handeln und ihren Haltungen Dinge beeinflussen zu können. Dies ist Bestandteil des Bildungsauftrags der Schulen. Laut der Bildungsagenda 2030 der UNESCO sollen Schülerinnen und Schüler dazu befähigt werden, mündige Bürgerinnen und Bürger zu werden, die in der Lage sind Gesellschaft mitzugestalten (Deutsche UNESCO Kommission).

"Verantwortung kann nur lernen, wer Verantwortung trägt"

Schule kann als gemeinsam geteilter Raum einer heterogenen Gruppe von Menschen zum "Übungsraum" für demokratische Prozesse werden. Diese Haltung unterstützt unter anderem Marina Weisband, Projektleiterin von "aula – Schule gemeinsam gestalten": "Schule ist der Lebensort von Schüler*innen und wir alle müssen unsere Lebensorte mitgestalten. (…) Verantwortung kann nur lernen, wer Verantwortung trägt" (Weisband 2019: 20).

Sie bemängelt, dass Schule aufgrund ihrer hierarchischen Struktur nur unzureichend auf demokratische Teilhabe vorbereitet. Das Interview mit ihr dazu kann in der Dokumentation zu der Veranstaltung KreativCamp "Bundesweite Netzwerke ausbauen - Mehr Kulturelle Bildung in Schule" nachgelesen werden. Weisband hat mit ihrem Team eine digitale Anwendung für die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern zur Schulgestaltung erarbeitet und in Schulen eingebracht. Ihr ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler wichtige Entscheidungen mitbestimmen und keine "Scheinbeteiligung" praktiziert wird.

Dieses Ziel wird auch in dem saarländischen Schulentwicklungsprogramm "KULTUR_leben!" verfolgt: Hier beraten und entscheiden Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Lehrkräften, der Schulleitung und -verwaltung sowie Kulturschaffenden an sogenannten "runden Tischen" über die Kooperationen ihrer Schule mit Kunst und Kultur für eine kreativere Unterrichtspraxis. Die Schulkultur wird so gemeinschaftlich gestaltet.

Beteiligungsformate zur Veränderung der Organisation Schule finden in ähnlicher Form bereits an vielen Schulen statt, für Curricula und Lernkonzepte fehlt es noch an methodischen Ansätzen. Ästhetische Lernzugänge können diesen Bedarf decken.

Mit ästhetischen Lernzugängen in allen Fächern zu mehr Teilhabe von Schülerinnen und Schülern

In den künstlerischen Schulfächern gehören freiere Arbeitsformen zum Unterrichtsalltag. Schülerinnen und Schüler können deshalb eher über Inhalte, Methoden und Lernwege mitbestimmen, als es in anderen Fächern der Fall ist (Zierfas 2017: 31-32). Dennoch nehmen auch die Lehrkräfte der künstlerischen Fächer eine Einengung durch Lehrpläne und Curricula wahr, die sie in der Vermittlung von Kunst, Kultur und Kreativität hemmen. Im extracurricularen Bereich, etwa an Ganztagsschulen, nimmt dies weniger Raum ein und Teilhabe sowie die Vermittlung von künstlerischer Praxis ergeben sich in den Zeiträumen außerhalb des Unterrichts eher (Rat für kulturelle Bildung e.V. 2014: 21).

Kinder und Jugendliche werden durch ein Lernen mit Kunst und Kultur sinnlich angesprochen; sie erhalten die Möglichkeit, individuelle Bezüge zum Unterrichtsinhalt herzustellen und eigene Lernwege zu gehen. Kulturelle Bildung wirkt sich demnach positiv auf die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler aus (Stute und Wibbing 2014). Weshalb also nicht mal physikalische Kräfte anhand von "tanzenden" Stühlen erlebbar machen oder mit einem spielerischen Ansatz Bruchzahlen falten? Ästhetische Zugänge im Unterricht können auch von Lehrkräften geschaffen werden, die selbst keine Expertinnen oder Experten für Kulturelle Bildung sind.

Dass dies auch fächerübergreifend möglich ist, zeigt das Projekt "Das Fremde im Eigenen" der Landesarbeitsgemeinschaft Tanz im Saarland. Die Klasse setzt sich tänzerisch mit dem Thema Kultur auseinander, das in den Fächern Erdkunde, Geschichte und Ethik vorkommt: Traditionelle Tanzschritte gehen über in eigene Bewegungsabläufe, die von den Jugendlichen selbst kreiert werden. Die Schülerinnen und Schüler erhalten somit die Möglichkeit, sich einen individuellen und sinnlichen Zugang zum Unterrichtsgegenstand zu schaffen. Sie lernen etwas Vorhandenes kennen (ein Kunstwerk, eine Technik, eine Kulturpraktik) und werden dann angeregt, etwas Eigenes zu schaffen, indem sie kreativ tätig werden.

Kulturpraktiken der Schülerinnen und Schüler wertschätzen

Eine Orientierung für die Schaffung von Teilhabe bieten die von den Hamburger Künstlern Andreas Schön und Matthias Berthold formulierten neun Gelingenskriterien für Beteiligungsprojekte an Schulen. Die beiden Künstler sind erfahren in der Umsetzung von Partizipationskunst mit Schülerinnen und Schülern: "In künstlerischen Projekten entdecken Schüler*innen neben der eigenen Kreativität ihre Verantwortung und Selbstwirksamkeit in gemeinschaftlichen Prozessen" (Schön und Berthold 2019: 22).

Einen Eindruck ihrer Partizipationskunst vermittelt die filmische Dokumentation zu dem Projekt "1000 Kisten", das im Rahmen des Kulturagentenprogramms umgesetzt wurde. Schülerinnen und Schüler einer Stadtteilschule bauten mit Umzugskartons und weiteren künstlerischen Materialien eine Installation, in die sie ihre Selbstportraits integrierten. Dadurch fand jeder und jede Einzelne von ihnen mit den individuellen Werten und Interessen einen Platz in diesem Raum. Dabei spielten auch die Kulturpraktiken der Schülerinnen und Schüler eine Rolle, was für künstlerische Ansätze in Schule und Unterricht entscheidend ist. Den Schülerinnen und Schülern wird dadurch ein "breiter" Kulturbegriff vermittelt, der Kulturpraktiken auch jenseits der "klassischen" Künste (Malerei, Theater, Tanz et cetera) einschließt.

Literaturverzeichnis

  • Bertelsmann Stiftung (2019): Childrens Worlds+. Eine Studie zu Bedarfen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Gütersloh: Bertelsmann. Online.
  • Deutsche UNESO-Kommission: Bildungsagenda 2030. Online.
  • Meyer, Hilbert (2013): Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen.
  • Rat für Kulturelle Bildung e.V. (2014): Schön, dass ihr da seid. Kulturelle Bildung: Teilhabe und Zugänge. Essen: Eigenverlag. Online.
  • Schön, Andreas und Matthias Berthold (2019): "Neun Gelingenskriterien für künstlerische Beteiligungsprojekte an Schulen". In: MUTIK gGmbH (Herausgeber). Bundesweite Netzwerke ausbauen – Mehr Kulturelle Bildung in Schule. Dokumentation. Essen: Eigenverlag. Seite 22ff. Online.
  • Stute, Dirk und Gisela Wibbing (2014): "Kulturelle Bildung als Baustein der Unterrichtsentwicklung". In: Kulturelle Bildung Online. Online
  • Weisband, Marina (2019): "Verantwortung kann nur lernen, wer Verantwortung trägt". In: MUTIK gGmbH (Herausgeber). Bundesweite Netzwerke ausbauen – Mehr Kulturelle Bildung in Schule. Dokumentation. Essen: Eigenverlag. Seite 20f. Online.
  • Zierfas, Jörg (2017): "Kulturelle Bildung und Partizipation. Semantische Unschärfen, regulative Programme und empirische Löcher". In: Braun, Tom und Kirsten Witt (Herausgeber). Illusion Partizipation – Zukunft Partizipation. (Wie) Macht Kulturelle Bildung unsere Gesellschaft jugendgerechter? München: Kopaed. Seite 23-43.

Weiterführende Literatur

  • Niedersächsisches Kultusministerium (2017): Kultur bewusst. Kultur und Kreativität im Schulalltag. Hannover: Eigenverlag. Online.
  • Landesinstitut für Schule und Medien (LISUM) Berlin-Brandenburg (2018): 3 KulturSchulen. Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Projekt "Erproben, Vernetzen, Verankern – Kulturelle Bildung an Schulen in die Fläche". Brandenburg 2014-2017. Ludwigsfelde: Eigenverlag. Online.

In Kooperation mit

Kreativpotentiale im Dialog

Das Projekt Kreativpotentiale im Dialog fördert den länderübergreifenden Wissensaustausch zwischen Akteuren aus Kultur und Bildung, die daran mitwirken, Kulturelle Bildung zum festen Bestandteil des Schullebens zu machen. Wissen, Erkenntnisse und Ideen, wie Schulveränderungsprozesse mit und durch Kulturelle Bildung erfolgreich gestaltet werden können, werden in diesem Netzwerk zugänglich gemacht.

Gefördert von

Stiftung Mercator

"Kreativpotentiale im Dialog" ist ein Projekt der Wider Sense TraFo gGmbH, gefördert von der Stiftung Mercator.

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Seida Bahtovic und Kristin Naujokat

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