Wenn der Gymnasialtraum platzt: Probeunterricht ist rechtmäßig
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Schulrechtsfall
Berliner Kinder ohne Top-Noten müssen in den Probeunterricht, um aufs Gymnasium zu kommen. Eltern klagten gegen die neue Regelung. Ist das rechtlich haltbar – oder eine unzumutbare Belastung? Berlin (DAV). Für viele Familien ist die Entscheidung nach der sechsten Klasse für eine weiterführende Schule eine emotionale Weichenstellung. Vor allem in Berlin, wo das Gymnasium häufig als Königsweg Richtung Abitur gilt, hängt viel von den Zeugnissen der fünften und sechsten Klasse ab – und neuerdings auch von der Teilnahme an einem Probeunterricht. Eltern, deren Kinder nicht die geforderte Durchschnittsnote erreichen, sehen sich gezwungen, binnen weniger Wochen eine "Aufnahmeprüfung light" zu durchlaufen – unter dem Eindruck, dass von ihr die gesamte Bildungsbiografie des Kindes abhängt. So war es auch im vorliegenden Fall, in dem Eltern gegen die Neuregelung klagten, um ihrem Kind den Zugang zum Gymnasium zu sichern. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat am 2. Juli 2025 (AZ: 3 S 20/25) entschieden, dass die im Schulgesetz Berlin geregelten Voraussetzungen für den Übergang von der Grundschule ans Gymnasium – insbesondere die Teilnahme am Probeunterricht bei nicht ausreichender Förderprognose – verfassungsgemäß und zumutbar sind. Eine Beschwerde gegen die zugrunde liegende gesetzliche Neuregelung wies das Gericht ab, teilt das Verbraucherrechtsportal www.anwaltauskunft.de mit. Schulgesetzreform mit Folgen – Probeunterricht Im Sommer 2024 änderte das Land Berlin das Schulgesetz: Kinder dürfen seitdem nur dann auf ein Gymnasium wechseln, wenn sie entweder eine ausreichende Förderprognose haben oder die Eignung über einen Probeunterricht nachweisen. Diese Reform zielte darauf ab, die Zahl der Schülerinnen und Schüler zu senken, die im "Probejahr" auf dem Gymnasium scheitern und danach auf eine andere Schulform wechseln müssen. Für den aktuellen Übergangsjahrgang sah der Gesetzgeber in § 129 Abs. 14 SchulG eine Übergangsregelung vor: Die Eignung soll sich nun aus den Noten der Jahrgangsstufen 5 und 6 ergeben, wobei Hauptfächer doppelt gewichtet werden. Wird die neue Hürde von 2,2 im Schnitt überschritten, ist eine Teilnahme am Probeunterricht Pflicht. Dagegen wandten sich die Eltern einer Schülerin mit einer Beschwerde: Sie kritisierten insbesondere die kurze Vorbereitungszeit, die Unbestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben und die fehlende Transparenz bei der Bewertung. Urteil des OVG: Keine verfassungsrechtlichen Bedenken Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigte die Auffassung des Verwaltungsgerichts Berlin: Die Neuregelung verstoße nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Zwar habe sich die Gesetzeslage kurzfristig geändert, dies sei jedoch eine zulässige "unechte Rückwirkung", da die Rechtsänderung erst mit Beginn des neuen Schuljahres greife. Zudem sei die Reform im politischen Raum absehbar gewesen – etwa durch den Koalitionsvertrag und die bereits im Juni 2024 eingebrachte Gesetzesinitiative. Auch die inhaltlichen Einwände der Eltern überzeugten das Gericht nicht. Der Probeunterricht sei sachlich und rechtlich hinreichend geregelt – insbesondere in der Sekundarstufe-I-Verordnung (Sek I-VO). Dort sei genau beschrieben, welche Leistungen erwartet würden (schriftlich in Deutsch und Mathematik, überfachliche Kompetenzen) und wann ein Kind als geeignet gelte (bei 75 % der erreichbaren Bewertungseinheiten). Die Eltern hatten bemängelt, dass die Bewertungsspielräume der Prüferinnen und Prüfer zu groß seien und nicht offen kommuniziert werde, wer die Prüfungen korrigiert habe. Doch auch hier sah das Gericht keine rechtlichen Verstöße: Durch einheitliche Bewertungsrichtlinien sei eine vergleichbare und standardisierte Bewertung gewährleistet. Ein längerer Vorbereitungszeitraum sei nicht notwendig, so das OVG, da es beim Probeunterricht nicht um "Stoff aus sechs Jahren", sondern um grundlegende Kompetenzen gehe, die bereits vor dem zweiten Halbjahr der sechsten Klasse vermittelt worden seien. Was Lehrkräfte wissen sollten: Rechtssichere Verfahren und neue Anforderungen Die Entscheidung des OVG ist nicht nur für Eltern relevant, sondern betrifft auch die tägliche Arbeit von Lehrkräften. Denn sie sind oft diejenigen, die Förderprognosen erstellen, Kinder auf den Probeunterricht vorbereiten und Eltern durch die neuen Anforderungen lotsen müssen. Wichtig für die Praxis: Die Regelungen zum Probeunterricht sind verfassungsgemäß – auch wenn sie strenger sind als früher. Die Förderprognose entscheidet mit, aber ist keine endgültige Eintrittskarte mehr. Einheitliche Aufgaben und Bewertungsmaßstäbe sollen für Transparenz und Fairness sorgen. Lehrkräfte sollten frühzeitig mit Eltern kommunizieren, wenn absehbar ist, dass die Förderprognose für das Gymnasium nicht reicht. Fazit: Neue Hürden für den Weg ans Gymnasium – rechtlich abgesichert Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt: Berlin darf den Zugang zum Gymnasium verschärfen. Auch wenn die neue Regelung für Schülerinnen, Schüler und Eltern eine zusätzliche Hürde bedeutet, ist sie rechtlich nicht zu beanstanden. Lehrkräfte sollten mit diesen neuen Spielregeln vertraut sein – und Kinder sowie Eltern dabei unterstützen, diese neue Etappe erfolgreich zu meistern. Informationen: www.anwaltauskunft.de
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Fächerübergreifend
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Primarstufe,
Sekundarstufe I