Portfolioarbeit – Potenziale und Grenzen
Unterrichtseinheit
Was ist ein Portfolio? Welche Chancen bietet die Portfolioarbeit? Und wo liegen ihre Grenzen? Dieser Fachartikel führt in die Thematik ein und berichtet über den aktuellen Forschungsstand. Die Portfolioarbeit ist derzeit in aller Munde: Im Kindergarten, in Schulen und in Hochschulen sollen Portfolios das Lernen unterstützen. Einzelne Bundesländer möchten das Portfolio als Instrument im Bildungswesen fest integrieren. Wo kommt die Idee der Portfolioarbeit her? Welche Möglichkeiten bietet das Portfolio im schulischen Unterricht? Und wo liegen die Grenzen? Dieser Fachartikel möchte einen Überblick über den Forschungsstand zur Portfolioarbeit geben. Darüber hinaus werden in dem Beitrag E-Portfolio ? Anwendungen und Tools Anwendungsszenarien und elektronische Tools zur Unterstützung der Portfolioarbeit vorgestellt. Von der Künstlermappe zum Boom im Bildungswesen In der Kunst ist das Portfolio allseits bekannt. Bildende Künstler, Fotografen und Architekten pflegen ihre Künstlermappe, um Skizzen, Entwürfe und fertiggestellte Arbeiten zu sammeln - fertiggestellte Arbeiten meistens als Reproduktionen, da Gemälde, Skulpturen oder Gebäude nur als solche in der Mappe Platz finden. Mittels der Sammlung der Artefakte soll der künstlerische Schaffensprozess dargestellt und die künstlerische Entwicklung dokumentiert werden, um diese den potenziellen Käufern, Auftraggebern oder Förderern zu präsentieren. Bereits bei der Bewerbung zu einem Studienplatz an einer Kunsthochschule finden die Künstlermappen von jeher ihren Einsatz. Spätestens seit Ende der 1980er Jahre gewinnen Portfolios im gesamten Bildungswesen an Popularität, erst in den USA und nun verstärkt im europäischen Raum. Der Begriff und ein Definitionsversuch Der Begriff Portfolio ist aus den beiden lateinischen Wörtern portare = tragen und folium = Blatt zusammengesetzt. Ursprünglich war ein Portfolio eine Mappe mit losen Blättern oder Arbeiten. Versucht man den aktuellen Portfolio-Begriff zu umreißen, wird es jedoch diffiziler. Gleich vorweg: Es gibt nicht das Portfolio, sondern je nach Verwendungszweck sehr unterschiedliche Formen der Portfolioarbeit. Und zudem sind Portfolios so unterschiedlich wie die Lernenden, die sie erstellen. Nichtsdestotrotz ein erster Definitionsversuch von F. Leon Paulson, Pearl R. Paulson und Carol A. Meyer aus dem Jahr 1991: "Ein Portfolio ist eine zielgerichtete und systematische Sammlung von Arbeiten, welche die individuellen Bemühungen, Fortschritte und Leistungen des Lernenden in einem oder mehreren Lernbereichen darstellt und reflektiert. Im Portfolioprozess wird der Lernende an der Auswahl der Inhalte, der Festlegung der Beurteilungskriterien sowie an der Beurteilung der Qualität der eigenen Arbeit beteiligt." Die folgenden Seiten beschreiben die Portfolioarbeit unter unterschiedlichen Aspekten und geben einen Überblick über die aktuellen Forschungsergebnisse zum Thema Portfolio. Grundlagen der Portfolioarbeit Was bedeutet die Portfolioarbeit? Wozu werden Portfolios benötigt? Und welche Typen von Portfolios gibt es? Potenziale und Hürden Welche Potenziale bietet die Einführung der Portfolioarbeit in der Schule? Und welche Hürden müssen dabei genommen werden? Kritik der Portfolioarbeit Trotz der Potenziale, die die Portfolioarbeit für das Lernen bietet, steht sie zunehmend in der Kritik. Was sagt die aktuelle Forschung? Merkmale der Portfolioarbeit Ein Portfolio ist eine Sammlung von Artefakten: von recherchierten Dokumenten, Entwürfen und eigenen Arbeiten. Diese Sammlung kommt durch die aktive Auseinandersetzung des Lernenden mit einem Thema zustande und sagt somit etwas über seinen Lernprozess aus. Zu den Artefakten erstellt der Lernende Reflexionen, die ebenfalls Teil des Portfolios werden. Vor dem Anlegen eines Portfolios werden in der Regel gemeinsam Ziele und Kriterien formuliert, an denen sich die Lernenden für ihre Portfolioarbeit orientieren können. Am Ende oder bereits im Prozess einer Portfolioarbeit werden die gesammelten Artefakte in einem geeigneten Rahmen vor der Lerngruppe und dem Lehrenden präsentiert. Anhand des Portfolios finden sodann Gespräche über den Lernprozess und die Ergebnisse statt. Die in den Portfolios dokumentierten Ergebnisse können gegebenenfalls auch Grundlage für eine Bewertung durch den Lehrenden werden. Gründe für den Portfolio-Einsatz Portfolio ist eine Antwort auf ein Problem - aber welches?, fragte der Erziehungswissenschaftler Thomas Häcker in einem Vortrag an der Universität Hamburg. Es sei die Antwort auf die Frage: Wie können wir Leistungen überprüfen, auf die es wirklich ankommt? Erworbene Kompetenzen werden derzeit durch formale Zeugnisse nachgewiesen. Diese Nachweise haben jedoch nur eine begrenzte Aussagekraft über die Fähigkeiten und Problemlösungsfertigkeiten einer Person. Der Aufbau fachlicher und persönlicher Kompetenzen ist ein komplexer Vorgang, der sich mit herkömmlichen Mitteln nur schwer dokumentieren und dadurch begrenzt beurteilen lässt. Noten sind Momentaufnahmen, die sich meist in Prüfungssituationen ergeben. Lernfortschritte und Ergebnisse, die zur Fertigstellung einer Arbeit notwendig waren, spielen hierfür oftmals eine untergeordnete Rolle. Hier setzt die Portfolioarbeit an: Portfolios sollen nicht nur didaktische Herausforderungen bewältigen, indem sie Menschen zu selbstorganisiert und kollaborativ Lernenden befähigen. Portfolios sollen gleichzeitig "Assessment-Probleme", also Probleme bei der Beurteilung lösen. Grundtypen von Portfolios An dieser Stelle wird bereits eines deutlich: Es gibt verschiedene Typen von Portfolios, die sich in ihrem Anspruch, dem Einsatz und der Zielsetzung unterscheiden - die aber auch in Mischformen Anwendung finden können. Von Personenportfolio, Reflexionsportfolio, Lernportfolio, Projektportfolio, Präsentationsportfolio, Bewerbungsportfolio und vielem mehr ist die Rede. Thomas Häcker macht eine Unterscheidung zwischen zwei Grundtypen, die bei der weiteren Betrachtung sehr nützlich ist: Er unterscheidet zwischen Entwicklungs- und Bewertungsportfolio. Reflexion und Kompetenzdarstellung Portfolios erhöhen dem Anspruch nach die Selbststeuerung und Eigenverantwortung im Lernprozess. Sie sind ein Reflexionsinstrument, in dem Prozesse, Ergebnisse und der Lernfortschrift der eigenen Person reflektiert werden. Sie sind aber auch ein Koordinationsinstrument, um die Vielfalt der Informationen und Anforderungen in der gegenwärtigen Zeit zu bewältigen - dies unterstützt insbesondere das projektorientierte Arbeiten. Insoweit sind Portfolios Reflexionsportfolios. Sie können jedoch auch Bewertungsportfolios werden, indem mit ihnen eine Kompetenzdarstellung erfolgt, die zur Bewertung von sozialen Fähigkeiten herangezogen wird. Prüfungsverfahren, die Leistungen nur punktuell erfassen, wie etwa Klausuren oder Aufsätze, sind für die Erfassung von Kompetenzen selten geeignet. Durch die Portfolios werden Kompetenzen sichtbar und einer Bewertung zugänglich gemacht. Methodik und Didaktik Als Methode unterstützen Portfolios selbstgesteuertes und kooperatives Arbeiten und Lernen und ermöglichen den Aufbau sekundärer Lernstrategien. Dem Lernenden wird Verantwortung zugewiesen, was seine Selbstständigkeit im Lernprozess fördert. Durch das Portfolio wird die Verarbeitung des Gelernten unterstützt. Denn die Portfolioarbeit ist eine Auszeit, in der sich der Lernende Gedanken über das Gelernte und über seine eigenen Stärken und Schwächen in sozialer und fachlicher Hinsicht macht. Darüber hinaus wird dem Lernenden die Möglichkeit gegeben, als Ergänzung zum Zeugnis seinen schulischen Werdegang mithilfe eines Portfolios zu belegen. Änderung der Methoden und Strukturen Was passiert, wenn die Portfolioarbeit in die gewachsenen Strukturen einer Schule eingeführt wird? Es entsteht eine Wechselwirkung, die eine Änderung der Methoden und institutionellen Strukturen notwendig macht. Der Unterricht muss in einigen Bereichen geöffnet und neue Lehr-Lernformen müssen gezielt und regelmäßig eingesetzt werden (zum Beispiel Freiarbeit und Projektarbeit). Zudem spielen gezielte Fördermaßnahmen beim Einsatz von Portfolios eine große Rolle. Entkopplung von Lernen und Leistung Vor allem führt der Portfolioansatz aber zur Entkopplung von Lernen und Leistung. In der Schule findet zugleich Förderung und Selektion statt: Es gibt dementsprechend Lernsituationen und Leistungssituationen, die verschiedene Informationen aber auch andere Verhaltensmuster seitens der Lernenden bedürfen. Schülerinnen und Schüler wissen oftmals nicht, in welcher Situation sie sich gerade befinden, weshalb sie sich wie in einer Dauerleistungssituation verhalten. Dies hemmt jedoch das Lernen. Die Vermischung von Lern- und Leistungssituation in der Schule gilt als eine große Hürde bei der Einführung der Portfolioarbeit. Eine scharfe Trennung des Einsatzes und der Handhabung der beiden Portfolio-Typen, des Entwicklungs- und Bewertungsportfolios, ist aus diesem Grund notwendig. Dies betont Thomas Häcker in dem folgenden Vortrag. ePUSH: Vortrag Thomas Häcker Professor Thomas Häcker von der Universität Rostock hielt im Rahmen des Projekts ePUSH einen Vortrag zum Thema „Entwicklungsportfolios – Bedrohung oder Mehrwert für angehende LehrerInnen“. Austrocknung des Lernsinns Durch die Portfolioarbeit werden Ambivalenzen im schulischen, aber auch hochschulischen Lernen deutlich: insbesondere die Spannung zwischen Verpflichtung und Freiheit im Lernprozess, zwischen Selbststeuerung und Selbstbestimmung. Was ist damit gemeint? Selbststeuerung umfasst nach Häcker regulative und operative Elemente: Der Lernpartner wird selbst ausgesucht, das Lerntempo, die Lernzeit und der Lernort selbst bestimmt, der Schwierigkeitsgrad und die Methoden gewählt. Selbstbestimmung umfasst dagegen mehr: Sie schließt nicht nur die Selbststeuerung in sich ein, sonder beinhaltet auch die Bestimmung der inhaltlichen und thematischen Elemente. Selbstbestimmung bedeutet, dass der Lernende die Inhalte und Ziele selbst oder zumindest mitbestimmt. Portfolios sind von vornherein ein Instrument zur Förderung der Selbststeuerung, aber nicht der Selbstbestimmung, wie Thomas Häcker betont. Dies führe oft zur Austrocknung des Lernsinns. Probleme der Motivation treten auf, wenn den Lernenden nur Selbststeuerung eingeräumt wird. Portfolioarbeit wird zum Inhalt Beim Einsatz von Portfolios besteht zuallererst die Gefahr, dass diese selbst zum Inhalt werden. Plötzlich nimmt die Portfolioarbeit einen hohen Anteil als Inhalt im Unterricht ein, weil Fragen geklärt werden müssen: wofür Portfolios benötigt werden, was in sie geschrieben werden solle und anderes mehr. Eine andere Gefahr ist subtiler: Die Professorin für Medienpädagogik Gabi Reinmann beschreibt diese mithilfe des Präfixes "Over". Over-Scripting meint einen steuernden Eingriff: Zu viele Vorgaben und Fremdkriterien seitens des Lehrpersonals vereinfachen zwar die Einführung der Portfolioarbeit in den Unterricht, führt aber zu fremdgeleiteten Portfolios, die letztlich wenig aussagekräftig sind. Mit Over-Acting ist eine blinde Sammelwut auf Seiten der Lernenden angedeutet: Ein gehorsamer Aktionismus führt dazu, dass Artefakte für das Portfolio gehortet werden. Over-Reflecting bezeichnet den verstärkten Rückbezug auf die eigene Person, die durch die Portfolioarbeit entsteht: Dies kann zum Kreisen um sich selbst führen oder auch dazu, dass Reflexionen ausschließlich für den Lehrenden geschrieben werden. Gut und konform präsentieren In Bezug auf Bewertungsportfolios weist Gabi Reinmann darauf hin, dass diese sehr schnell zu Laufbahn- oder Selbstvermarktungsportfolios werden, indem in ihnen alles gesammelt wird, was perfekt zu sein scheint. Sich gut und konform zu präsentieren wird unerwünscht zum Leitziel der Portfolioarbeit. podcampus: Vortrag Gabi Reinmann „Königsweg oder Sackgasse?“ fragt Professor Gabi Reinmann in ihrem Vortrag über E-Portfolios für das forschende Lernen. Der Vortrag wurde auf der Campus Innovation 2009 gehalten und kann auf dieser Website angeschaut werden. Zwang zur Selbstoptimierung Besonders der letztgenannte Aspekt, dass die Portfolioarbeit schnell zu einer konformen Präsentation führt, leitet in eine Kritik der ökonomischen Verhältnisse über. Hiernach fördert die Portfolioarbeit ökonomische Interessen: das selbstgesteuerte Lernen im Dienste des Humankapitals. Mehr noch: Der Portfolio-Ansatz eignet sich demnach, um neoliberale Sichtweisen zu sozialisieren. Das Portfolio wird bei dieser kritischen Betrachtung als ein neoliberales Führungsinstrument begriffen, da es Merkmale des "unternehmerischen Selbst" einschließt. Die Kontrolle wird sanfter, andererseits perfider und komplexer. Es entsteht ein Zwang zur Selbstoptimierung und Selbststeigerung, zur permanenten Reflexion und letztlich zur Individualisierung. Mögliche Konsequenzen sind, dass ein unausweichlicher Selbstzwang zur Selbstüberwachung entsteht. Oder, dass Bildungsverlierer sich zunehmend ihr Schicksal selbst zuschreiben. Die Institution Schule wird hier vor die Frage gestellt, ob sie der verlängerte Arm solcher Interessen sein möchte. ePUSH: Vortrag Thomas Häcker Auch dieses Thema bespricht der Erziehungswissenschaftler Thomas Häcker ausführlich in seinem Vortrag.
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