Inhalte und Didaktik für Jungen und Mädchen

Was kann an den Schulen getan werden, um tradierte Geschlechterrollen aufzubrechen und Jungen wie Mädchen gleiche Bildungschancen einzuräumen?

Faktoren einer gendergerechten Didaktik

Hertel (1995) arbeitet in einer empirischen Studie über koedukativen Unterricht und das Interesse von Mädchen an Physik heraus, dass monoedukativer Unterricht kein Konzept ist, das es zu fördern gilt. Er sieht das geringere Interesse der Mädchen an Physik eher darin begründet, dass die Unterrichtsinhalte und -methoden wenig mädchengerecht sind und dass zu starke Geschlechterrollenstereotype wirken. Neben den Einstellungen der Lehrkräfte sind die Unterrichtsmethoden eine wichtige Einflussgröße auf die Geschlechterkonstellation. Auch die Kommunikation innerhalb des Kollegiums ist wichtig für eine gute Lernumgebung. Fächerübergreifende Projektarbeiten und interdisziplinäres Arbeiten scheinen einen fruchtbaren Boden zu bilden, um die Kompetenzen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen.

Unterrichtsform und Gender

Frontalunterricht hemmt Mädchen

In Mathematik findet vorrangig fragend-entwickelnder Frontal-Unterricht statt. Studien deuten darauf hin, dass Mädchen deswegen im Mathematikunterricht "ihre Kompetenzen nicht voll entfalten können, weil sie sich in uneindeutigen Situationen zurückhaltender als die Jungen verhalten" (Stürzer und andere, 2003: 152). Wenn Mädchen keine eindeutige Antwort haben, melden sie sich lieber nicht, Jungen hingegen haben eine geringere Hemmschwelle, auch dann zu antworten, wenn sie sich nicht ganz sicher sind.

Mehr Interaktion mit Jungen

Im Frontalunterricht scheint es nach den Ergebnissen verschiedener Studien eine stärkere Interaktion zwischen Lehrkräften und Jungen zu geben als zwischen Lehrkräften und Mädchen. Ob es Tadel oder Aufrufe sind, mit Jungen wird mehr interagiert. Jungen fordern und erhalten mehr Aufmerksamkeit bei diesen Unterrichtsformen, sowohl von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern als auch von den Lehrerinnen und Lehrern (vergleiche ebenda: 152f.). Projektarbeit gilt als eine Unterrichtsform, die tendenziell am ehesten beiden Geschlechtern gerecht wird.

Vorbilder

Schule als "Ort des kollektiven Selbst-Bewusstwerdens"

Schule sollte nach Plaimauer (2008: 57) als "Ort des kollektiven Selbst-Bewusstwerdens" verstanden werden und damit die Schülerinnen und Schüler auf die Lebenswelt der Erwachsenen vorbereiten. Die Persönlichkeit soll geformt und gefestigt werden, ohne Rollenklischees zu vermitteln.

Schulbücher

Thematisieren Sie es, wenn in den Schulbüchern Geschlechterstereotype auftauchen (Autorinnen und Autoren, handelnde Personen und deren Rollen, Inhalte et cetera) oder entscheiden Sie sich für ein anderes Schulbuch, das weniger Vorurteile produziert.

Historische Aufarbeitung

Die historische Aufarbeitung der Rolle von Frauen und Männern sollte auch zum Thema gemacht werden. Gerade in den Naturwissenschaften ist es wichtig, auch Wissenschaftlerinnen und Erfinderinnen vorzustellen, da diese oft hinter ihren männlichen Kollegen verschwinden. Stellen Sie bedeutende Naturwissenschaftlerinnen, Mathematikerinnen, Informatikerinnen et cetera vor und schaffen Sie so auch weibliche Vorbilder für Ihre Schülerinnen und Schüler (vergleiche Tobies, 2008: 144).

Verbindung mit dem Schulalltag

"Gendergerechter Unterricht in den Naturwissenschaften beachtet, dass das Alltagsleben und die Erfahrung und Anknüpfungspunkte der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden" (BMBWK, 2005: 28). Mathematik, Physik, Chemie und auch Biologie bieten unzählige Möglichkeiten, die theoretischen Themen mit praktischem Bezug aufzuarbeiten und für die Lernenden einen Bezug herzustellen. Dadurch steigt die Motivation, und vor allem wird der Sinn des Lernens deutlich, wenn ein Bezug zum Alltags-(Er-)Leben der Schülerinnen und Schüler hergestellt wird. Auch hier ist darauf zu achten, dass Beispiele aus dem Alltagshandeln und -erleben von Jungen und Mädchen in gleicher Weise vorkommen.

Kommunikation und Interaktion

Wortwahl und Bezeichnungen

Ein Unterrichtsprozess ist eine Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden. Bei diesem Prozess kann durch unterschiedliche Kommunikationsstile und Wortwahl die Atmosphäre positiv oder negativ beeinflusst werden. Ein Aspekt ist dabei, auf eine gendergerechte Sprache zu achten. Durch den Gebrauch von Bezeichnungen wie "Sekretärin" und "Ingenieur" entstehen Vorstellungen im Kopf, die einen Einfluss auf Berufsbilder haben. Untersuchungen zur Verwendung des Wortschatzes in der Grundschule haben gezeigt, dass der vermittelte Wortschatz eher den Interessen von Mädchen entgegenkommt als denen von Jungen (vergleiche Stürzer und andere, 2003: 121). Dem sollte eine Lehrkraft Aufmerksamkeit widmen. Achten Sie darauf, wieviel Redezeiten Jungen und Mädchen in Ihrer Klasse einnehmen und sorgen Sie wo möglich für eine Gleichverteilung.

Raumgestaltung

Achten Sie auch auf die (Schul-) Raumgestaltung und die Sitzordnung, auch diese können "Anstöße zur Herausbildung einer neuen Geschlechterkultur" (ebenda: 82) bieten.

Jungen und Mädchen und die Disziplin

Fachspezifische Unterschiede

Wenn es um Disziplin und Verhalten im Unterricht geht, kommen geschlechtsspezifische Unterschiede verstärkt zum Tragen. Stereotyp wird festgestellt, Jungen störten mehr im Unterricht, rangelten und rauften häufiger und ärgerten ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, Mädchen hingegen seien angepasster in der Schule. Dies kann nach Fächern variieren, eine Beobachtung, die Anlass geben sollte, darüber nachzudenken, inwiefern jeweils Mädchen oder Jungen sich weniger angesprochen fühlen.

Vom laut und vom ruhig sein

Lehrkräfte nehmen ruhige Jungen und Mädchen weniger wahr und vor allem ruhige Jungen haben es schwerer, beachtet zu werden (Budde und andere, 2008: 114f.). Ruhige Mädchen werden eher als unproblematisch klassifiziert, ruhige Jungen gelten tendenziell eher als Besorgnis erregend (ebenda: 275). Umgekehrt scheinen laute Mädchen Anlass zur Sorge zu geben, weil sie "die Illusion in Frage [stellen] und sich nicht an die Spielregeln [halten]" (ebenda: 275).

Prüfungsangst

Es ist wichtig zu wissen, dass Mädchen nervöser und ängstlicher vor Prüfungen sind als Jungen (vergleiche Koch-Priewe, 2009: 21). Es kann davon ausgegangen werden, dass sich gerade in Fächern, in denen Mädchen ein geringes Selbstbewusstsein aufweisen, die Nervosität verstärkt.

"Doing masculinity" in der Schule

Kollektive "Männerpower"

Budde (2005) beschäftigt sich mit dem Verhalten von Jungen bezüglich Männlichkeitskonzepten und Schule. Dabei kann er aufzeigen, dass Jungen tradierte Geschlechterkonzepte - im Sinne von "Männerpower" - aufrecht zu erhalten versuchen. Jungen charakterisieren explizit ihre Benachteiligung - zum Beispiel "Männerfeindlichkeit", "Jungenbenachteiligung" - und homogenisieren so ihre Jungengruppe. Mädchen tun dies offensichtlich weniger, sie identifizieren sich seltener als homogene Mädchengruppe.

Konstruktion hegemonialer Männlichkeit

Männlichkeit wird "durch symbolische Aushandlungsprozesse um Exklusion und Inklusion" (Budde, 2005: 75) der Jungen untereinander hervorgebracht, wobei Prestige eine wichtige Rolle spielt. Aufgrund dessen werden "pädagogische Konzepte, die von einem normativen `alternativen` Anspruch der Erziehenden geleitet sind (…) den Interessen der Jungen nicht gerecht" (ebenda). Budde arbeitet heraus, dass nicht allein die Jungen Männlichkeit konstruieren, sondern ebenso die Mädchen und die Lehrkräfte "an der Konstruktion von hegemonialer Männlichkeit beteiligt sind und dementsprechend zur Aufrechterhaltung geschlechtstereotypen Verhaltens beitragen" (Koch-Priewe und andere, 2009: 19). Lehrerinnen und Lehrer sollten reflektieren, inwiefern sie konfliktreiches Verhalten männlicher Schüler homogenisieren und als auffälliges "Jungenverhalten" etikettieren, das in der Addition und Zuschreibung dann Männlichkeitsstereotype verstärkt (vergleiche ebenda).

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