Hochbegabung

Fachartikel

Was ist eigentlich Hochbegabung? Diese Frage stellt sich für Lehrerinnen und Lehrer insbesondere dann, wenn ein Kind im Unterricht auffällig wird und bei der Suche nach den Gründen auch in diese Richtung überlegt wird.

Was ist Hochbegabung?

Es gibt Menschen, die im musischen Bereich besonders begabt sind, andere sind es im intellektuellen Bereich. Aber auch eine besondere sportliche Begabung sollte man zur Hochbegabung zählen. Dies bedeutet, dass Menschen in Teilbereichen, oder aber auch in mehreren Bereichen sehr begabt sein können. "Die Hochbegabung" meint in dieser Beschreibung eine geistige Disposition, auf vielen Gebieten.

Betrachtet man 100 Menschen, so findet man rein statistisch etwa 2 Hochbegabte unter ihnen (mit einem IQ Ergebnis von ca. 130 aufwärts). Je höher der erreichte Wert, desto seltener sind diese Begabungen zu finden (etwa bei einem 160 IQ nur noch 1:10000, man spricht hier bereits von Höchstbegabung). Kinder mit einem gemessenen IQ Wert über 145 gelten als höchst begabt beziehungsweise extrem hoch begabt, im Volksmund auch genial oder Wunderkinder genannt. Die englische Sprache trifft hier gezieltere Unterscheidungen: gifted, highly gifted, exceptionally gifted, profoundly gifted, extraordinarily gifted. Die Förderung in den USA ist weiter vorangeschritten, es sind dort jedoch auch schon rein statistisch gesehen erheblich mehr "Fälle" vorhanden und bekannt.

Testverfahren

IQ Tests werden im Allgemeinen erst ab einem Alter von rund 6 Jahren angeboten (bei intellektueller Hochbegabung). Sollte schon vorher ein Test notwendig sein, so bedient man sich eines Entwicklungstests (beispielsweise der "Kaufmann Assessment Battery for Children", kurz: "K-ABC", oder "Kramer Test").

Die Entwicklungstests zeigen die gesteigerte Entwicklungsgeschwindigkeit an - auch Akzeleration genannt. Durch die Akzeleration kann dann der ungefähre Entwicklungsstand des Kindes ermittelt werden. Natürlich ist hierbei zu beachten, dass Kinder sich innerhalb kürzester Zeit noch stark verändern, so dass gerade bei ihnen starke Schwankungen auftreten können (man sollte sie über längere Zeitspannen beobachten).

Kindliche Gefühlswelten

Emotionale Intelligenz

Wichtig für hoch begabte Kinder ist auch der EQ. Kinder, die Ihren Altersgenossen um Jahre voraus sind, haben trotzdem ein biologisches Alter. So sind die Empfindungen und die Lebenserfahrungen hochbegabter Kinder niemals Ihrer Intelligenz gleichzusetzen. Vermutet man eine Hochbegabung bei einem Kind, so kann ein Verein für hoch begabte Kinder eine erste wichtige Anlaufstelle sein (siehe Linkliste unten).

Wo liegt denn das Problem?

Meistens liegt das Problem von hochbegabten Kindern im Kontakt mit der Außenwelt. Viele Kinder sind, bis sie in Kindergarten oder Schule eintreten, zu Hause ausgeglichen und zufrieden. Manchmal allerdings sind die Ansprüche der Kinder an die Umgebung so hoch, dass Eltern diese aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr erfüllen können. Dann kann die Lösung der Kindergarten oder die Schule sein, denn mit der neuen Situation müssen hochbegabte Kinder (übrigens so wie alle Kinder) erst lernen, zurechtzukommen. Die neuen Eindrücke fordern das Kind entsprechend seinem "Input-Bedürfnis". Ich würde jedoch auf jeden Fall davon abraten ein hochbegabtes Kind gegen seinen Willen in den Kindergarten zu geben, oder es dort bei Schwierigkeiten zu belassen.

Entscheidungshilfen und weiteres Vorgehen

Hochbegabte Schülerinnen oder Schüler können durch Langeweile dazu neigen, den Unterricht zu verweigern. Auffällig werden sie meist durch Störungen des Unterrichtes bis hin zu stark introvertiertem Verhalten innerhalb der Klasse.

Ãœberspringen von Klassenstufen

Integrationserfolg meist von kurzer Dauer

In diesem Falle sollten Eltern gemeinsam mit der Schule über einen Wechsel in die nächst höhere Jahrgangsstufe nachdenken. Auch das Kind sollte dazu befragt werden. Zunächst wird das Kind einiges aufzuholen haben. Untersuchungen zufolge schaffen hochbegabte Kinder dies jedoch innerhalb kürzester Zeit (hierzu sind die Sommerferien optimal, man sollte dem Kind aber auch innerhalb des Schuljahres Zeit geben). Die beschleunigte Entwicklung wird jedoch auch dazu führen, dass der ideale Integrationserfolg oft nur von kurzer Dauer sein wird, denn gerade diese beschleunigte Entwicklung führt über kurz oder lang doch wieder zu einem Wissensvorsprung.

"Normal" Hochbegabte haben es leichter

Das "normal" hochbegabte Kind (mit einem gemessenen IQ Wert von circa 125 - 135) wird vermutlich erst einmal mit dem Überspringen einer Klasse gut bedient sein. Hier kommt es ganz auf den Einzelfall an. Eine Beratung muss immer von allen Seiten überprüft und individuell gestaltet sein. Die Schule könnte unter Umständen zur Erleichterung beisteuern durch:

  • sogenanntes Enrichment (Anreicherung des Unterrichts)
  • innere Differenzierung / Individualisierung
  • äußere Differenzierung (Arbeitsgemeinschaften und Plus-Kurse, zusätzliche Leistungskurse)
  • überregionale Wettbewerbe
  • Schüleraustauschprogramme
  • bilinguale Züge
  • Intensivkurse in der Sekundarstufe
  • altersheterogene Klassen

Vorzeitige Einschulung

Vermutet man vor der Einschulung eine Hochbegabung, so sollte man, je nach Kind, eine Einschulung auf Antrag in Betracht ziehen. Hier wurden inzwischen sehr gute Erfahrungen gesammelt. Die einzelnen Bundesländer haben in diesem Punkte verschiedene Bestimmungen aber auch hier kann ein Verein Infos geben. Als Beispiel sei an dieser Stelle Nordrhein-Westfalen genannt, wo Kinder nur noch entwicklungsabhängig eingeschult werden.

Es gibt in Deutschland nur ganz vereinzelt Grundschulen, die hochbegabter Kinder in ihren Konzepten mit einbeziehen und fördern. Die zuständigen Schulämter können Auskunft erteilen.

Tests, Tests und noch mehr Tests

Überprüfung des Entwicklungsstandes

Oftmals ist ein Test nötig, der den Entwicklungsstand des Kindes überprüfbar macht. Tests gibt es sehr viele verschiedene (Entwicklungtests, reine IQ Tests,..); sie werden je nach den Bedürfnissen des Kindes erwogen und mit differenzierten Untertests ergänzt.

Institutionen

Die Tests sollten immer von einem kompetenten Psychologinnen und Psychologen mit Erfahrung auf dem Gebiet der Hochbegabung durchgeführt werden. Je jünger das Kind, desto wichtiger ist diese Erfahrung. Psychologische Fachkräfte in der Nähe nennen Ihnen auch unter anderem die HBF in Bochum, mit Zweigstellen im gesamten Bundesgebiet. Ich persönlich rate von einem Test beim Schulpsychologen oder dem Jugendamt ab. Das hat den den einfachen Grund, dass eine nicht spezialisierter Psychologe oder ein nicht spezialisierter Psychologe eben die oben geforderten Erfahrung nicht mitbringt.

Umgang mit dem Thema im Schulalltag

Schulen, insbesondere die Grundschulen, bemühen sich allgemein sehr, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden.

Individuelle Unterrichtsgestaltung

Einzigartiges Lerntempo

Hochbegabte Kinder haben ein einzigartiges Lerntempo; die Gestaltung des Unterrichts muss darauf Rücksicht nehmen. Hier ist ein Vergleich zu einem Kind mit geistiger Behinderung sehr wohl angebracht. Betrachtet man die gauß'sche Kurve, findet man eine gleiche, jedoch entgegengesetzte Verschiebung auf ihrer Skala; somit liegt der Unterschied in der qualitativen Darbietung und darf sich keinesfalls auf ein bloßes Anhäufen von zusätzlichen Aufgaben beschränken.

Nicht nur "Zusatzfutter"

Zusätzlich Übungsaufgaben sind für ein Schulkind mit Hochbegabung zumeist eher hinderlich. Sie nehmen ihm die Motivation und können sogar das allgemeine Arbeitsverhalten bis hin zur Verweigerung beeinflussen. Die Übungsphasen der Klasse sollten für hochbegabte Kinder zur Vertiefung oder als Erarbeitungsphasen mit neuen Unterrichtsinhalten gestaltet sein. Dies bedeutet für die Lehrkraft sicher einen erhöhten Vorbereitungsaufwand. Außerdem muss eine Lehrkraft auch diesem Kind als Ansprechpartner zur Seite stehen. Dafür können später Lösungen und Ideen des Kindes für die ganze Klasse verwendet und in den Unterricht miteinbezogen werden.

Fortbildung

Was können Lehrkräfte tun?

Lehrerinnen und Lehrer haben die Möglichkeit, sich speziell für hochbegabte Kinder ausbilden zu lassen. Dafür ist natürlich Interesse erforderlich. Die Ausbildung ist mit einem nicht unerheblichen Zeitaufwand verbunden und nicht kostenlos. Abgeschlossen wird sie mit dem Diplom "Specialist in Gifted Education". Dieser wurde an der Universität Nijmegen in Kooperation mit dem European Council for High Abilitiy (ECHA) entwickelt und vom ICBF für Deutschland weiterentwickelt. Durch Fortbildungen (zum Beispiel durch den Erwerb des Echa Diplom) sind stetig mehr Lehrkräfte in der Lage, die auseinanderklaffenden Kenntnisse der Kinder aufzugreifen und zu begreifen.

Erfahrungen

Probleme mit dem Verhalten hoch begabter Schülerinnen und Schüler entstehen, sobald versucht wird, sie ausschließlich durch eine Binnendifferenzierung innerhalb der Klassen zu fördern. Es gibt hierzu Erfahrungen an einzelnen Schulen (zum Beispiel Grundschule an der Beuthener Straße in Hannover, Freie Schule Rostock  und der Christophorusschule in Braunschweig), die sich intensiv um die Förderung hoch begabter Kinder bemühen.

Welche Möglichkeiten gibt es also?

Offener Unterricht, Freiarbeit, Werkstattlernen und Projekte helfen allen Kindern ihren Möglichkeiten entsprechend den gestellten Anforderungen nachzukommen. Äußere Differenzierung bietet ebenfalls eine gezielte Form der Förderung; die Klasse erarbeitet zum Beispiel ein dem Kind bekanntes Thema, während dieses eine komplett andere Aufgabe übernimmt (eine Fremdsprache lernen, sich mit Software beschäftigen, an Projekten in der Schule teilnehmen). Die oben erwähnten Schulen haben hiermit die größten Erfolge erzielt. Natürlich tritt auch hier wieder das Problem des Arbeitsaufwandes für die Lehrkraft auf: Material muss beschafft werden, die Lehrkraft muss sich oft selbst in ein Thema einarbeiten. Und weil das Lerntempo dieser Kinder oft erheblich schneller, die Bearbeitung viel intensiver geschieht, sprengen die geistigen Möglichkeiten auch nicht selten die Grenzen der Lehrerinnen und Lehrer; dieses einzugestehen und dafür bereit zu sein, ist ein oft schwieriges Unterfangen.

Buchtipp

Hochbegabte Kinder in der Grundschule

Das Thema "Hochbegabung" ist, besonders auch im Zeitalter der Pisa Studie, zu einem außergewöhnlich gefragten Themenfeld geworden. Frau Ey-Ehlers erfasst in komplexer Umsetzung auftretende Probleme und Fragen - insbesondere im Hinblick auf Identifikations-/ und Integrationsprozesse. Sie schafft es auf unglaublich klare Weise der Problematik gerecht zu werden. In ihrem mehrperspektivischen Hologramm bezieht sich die Autorin explizit auf die intellektuelle Hochbegabung. Die Vorschläge und Informationen in diesem Buch sind lebensnah und umsetzungsorientiert, ihr Perspektivenreichtum und ein fundierter Zugriff auf die Thematik zeichnen das gesamte Werk aus.

Zielgruppe: Lehrkräfte und Eltern

Das Buch ist ringsum ohne Einschränkung für Lehrkräfte und Eltern empfehlenswert! In einem persönlichen Autorengespräch zeigte sich die Tiefe des Kenntnisstandes und das Interesse, wobei Frau Ey-Ehlers sich auch in Zukunft mit der Pädagogik befassen wird. Sie hat an den Erfahrungen verschiedener Betroffenen teilnehmen können, und diese Eindrücke in einer großartigen Hilfe für andere festgehalten. Zurzeit steht sie im Schuldienst, wobei man sich ein weiteres Werk im Bereich der Hochbegabung sehr wünschen würde. Quelle: Redaktion-Elternkontakte (REK!).

Literaturhinweise

Literatur, Material und Kontakte für Grundschulen

Fremerey, Jutta (1999). "Normaler geht's nicht!" Integration besonders Begabter im normalen Unterricht der Grundschule. Bonn: Schulleitung Montessori Aachen.

Poschlad, Christiane (2000). "Anregungen zum integrativen Unterricht hochbegabter Kinder in der Grundschule". In: Labyrinth 66 2000:11. 20-21.

Literatur zum Thema allgemein

Billhardt, Jutta (1996). Hochbegabte: Die verkannte Minderheit. München: Lexika-Verlag München.

Feger, Barbara und Tania M. Prado (1998). Hochbegabung. Die normalste Sache der Welt. Darmstadt: Primus Verlag.

Heinbokel, Annette (2001). Überspringen von Klassen. Grundwerk für Lehrer und Eltern. Münster: LIT Verlag.

Heller, Kurt A. (20012). Hochbegabung im Kindes- und Jugendalter. Göttingen: Hogrefe.

Jost, Monika (1999). Extra-Klasse? Hochbegabte in der Schule erkennen und begleiten. Wiesbaden: Universum Verlagsanstalt.

Klingen, Franz J. (2001). Begabung - ein Geschenk entdecken und fördern. Ein Ratgeber für die Schulpraxis. Köln: Adamas Verlag.

Mönks, Franz J. und Irene H. Ypenburg (2012). Unser Kind ist hochbegabt. München: E. Reinhardt Verlag.

Rost, Detlef H. [Hrsg.] (2000). Hochbegabte und hochleistende Jugendliche. Neue Ergebnisse aus dem Marburger Hochbegabtenprojekt. Münster: Waxmann.

Thomas, Werner (1999). Mein Kind ist hochbegabt. Berlin: ECON Taschenbuch Verlag.

Winner, Ellen (20042). Hochbegabt - Mythen und Realitäten von außergewöhnlichen Kindern. Stuttgart: Klett-Cotta.

Infos und Broschüren

Die informative Starthilfe für Lehrkräfte und Eltern - von Pädagogen und Psychologen geschrieben - beinhaltet zahlreiche nützliche Adressen, Definitionen und Tipps und steht zum kostenfreien Download zur Verfügung.

Die Begabtenförderungswerke in der Bundesrepublik Deutschland (umfangreiche Datenbank für Ansprechpartner).

Hochbegabung im Spiegel der Printmedien seit 1950.

Beratung für Hochbegabte, eine Literaturübersicht Bonn 1999.

Zu Entwicklungsschwierigkeiten hoch begabter Kinder und Jugendlicher in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt (Erkennen, verstehen und helfen - rund um das Kind).

Publikationen aus den Landesministerien

Hessisches Kultusministerium

pressestelle(at)hkm.hessen.de "Hilfe, mein Kind ist hochbegabt!" IQ 130 - Förderung von besonderen Begabungen in Hessen.

Niedersächsisches Kultusministerium

pressestelle(at)mk.niedersachsen.de Besonders begabte Kinder erkennen und fördern Hilfen und Anregungen für den Elementar- und Primarbereich; Kurzfassung und ausführliche Broschüre.

Wettbewerbe

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schuelerakademie.de

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Eva Krian

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