Wenn Grenzen überschritten werden – Schulausschluss und seine rechtlichen Grundlagen

Schulrechtsfall
Basis

Ein Schüler entzündet eine Deo-Flamme, bedroht und beleidigt Mitschülerinnen und Mitschüler, die Schule greift hart durch. Doch wie weit darf sie gehen? Ein aktueller Fall aus Sachsen zeigt, welche rechtlichen Regeln beim Schulausschluss gelten und wo der Schutz der Schulgemeinschaft Vorrang hat.

Der Schulalltag ist ein komplexes Gefüge aus Lehren, Lernen und Miteinander. Doch wo viele Menschen zusammenkommen, sind Konflikte und Regelverstöße unvermeidlich. Schulleitungen und Lehrkräfte stehen dann vor der Herausforderung, den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule zu sichern und gleichzeitig den Schutz von Personen und Sachen zu gewährleisten. Hier kommen Ordnungsmaßnahmen ins Spiel – von Verweisen bis hin zum weitreichendsten Mittel: dem Schulausschluss. Diese Entscheidungen sind oft juristisch relevant und müssen formal korrekt getroffen werden.

Ein Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) vom 17. Mai 2023 (AZ: 2 B 74/23) zeigt dies deutlich. Die Anforderungen an das Verfahren sind jedoch nicht überzogen streng, insbesondere wenn es um die Anhörung der Klassenkonferenz geht. Der sofortige Vollzug eines Schulausschlusses ist rechtmäßig, da das öffentliche Interesse an einem geordneten Schulbetrieb das private Interesse der betroffenen Schülerinnen und Schüler überwiegt.

Gefährdung durch "Deo-Flamme" und Beleidigungen

Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Vorfall an einem sächsischen Gymnasium: Ein Schüler einer neunten Klasse hatte in der Umkleidekabine einer Sporthalle eine Spraydose entzündet und so Mitschüler gefährdet. Hinzu kam eine verbale Drohung gegen denjenigen, der den Vorfall gemeldet hatte. Bereits zuvor war der Junge durch Fehlverhalten aufgefallen und zeitweise vom Unterricht ausgeschlossen worden. Kurz nach seiner Rückkehr kam es trotz dieser Maßnahmen erneut zu Störungen, unter anderem durch Beleidigungen. Zudem soll er einen Mitschüler fotografiert, das Bild bearbeitet, mit einem beleidigenden Titel versehen und über den Messenger-Dienst Snapchat verbreitet haben.

Die Schulleitung entschied schließlich, ihn dauerhaft von der Schule auszuschließen. Die Eltern legten Rechtsmittel ein, das Verwaltungsgericht Dresden gab ihnen zunächst recht. Doch das Oberverwaltungsgericht änderte die Entscheidung und bestätigte den Schulausschluss.

Pädagogisches Ermessen und Schutz der Schulgemeinschaft

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Schulleiters für rechtmäßig erklärt und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Eltern abgelehnt. Die Gründe dafür sind zweigeteilt:

1. Formelle Rechtmäßigkeit der Anhörung

Das Gericht stellte fest, dass der Schulausschluss den verfahrensrechtlichen Anforderungen genügt. Nach sächsischem Schulrecht (§ 39 Abs. 5 Satz 2 SächsSchulG) muss der Schulleiter vor einer solch weitreichenden Entscheidung die Klassenkonferenz anhören. Diese Anhörung fand hier statt. Die Richter stellten klar, dass der Zweck der Vorschrift, der Klassenkonferenz die Möglichkeit zur Äußerung zu geben, nicht dadurch unterlaufen wird, dass der Schulleiter in der Einberufung bereits das Ergebnis seiner Überlegungen (das heißt die beabsichtigte Maßnahme) mitteilt. Dies versetzt die Klassenkonferenz vielmehr in die Lage, umfassend Stellung zu nehmen. Eventuelle Mängel bei der Anhörung von Schülerinnen und Schüler sowie Eltern sind zudem grundsätzlich heilbar (§ 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG).

2. Interessenabwägung und Wiederholungsgefahr

Ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Schulausschluss aufgrund des ursprünglichen Vorfalls abschließend gegeben sind (pädagogisches Ermessen), ließ das Gericht wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens offen. Entscheidend für die Ablehnung des Antrags war die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der neuen Tatsachen.

3. Öffentliches Interesse

Das Gericht sah das öffentliche Interesse an einem ordnungsgemäßen Schulbetrieb und am Schutz der Mitschülerinnen, Mitschüler und Lehrer als überwiegend an.

4. Wiederholtes Fehlverhalten

Insbesondere das unmittelbar nach der Rückkehr erfolgte, erneute schwere Fehlverhalten (Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Foto auf Snapchat, Beleidigungen) belege eine Uneinsichtigkeit des Schülers und die Gefährdung des Schulfriedens.

5. Alternative

Das Gericht berücksichtigte, dass dem Schüler die Aufnahme an einer anderen Schule in Aussicht gestellt wurde, was ihm einen unbelasteten Neuanfang ermöglicht.

Was bedeutet das für Schulen?

Für Schulleitungen und Lehrkräfte macht das Urteil deutlich:

  • Ordnungsmaßnahmen müssen gut dokumentiert und verhältnismäßig sein.
  • Die Beteiligung der Klassenkonferenz dient der Anhörung, nicht aber einer verbindlichen Entscheidung.
  • Gerichte greifen nur ein, wenn Verfahrensfehler vorliegen oder das Ermessen grob fehlerhaft ausgeübt wird.

Damit unterstreicht das Oberverwaltungsgericht: Schulen haben rechtlich Rückhalt, wenn sie in gravierenden Fällen zum Schutz der Schulgemeinschaft konsequent handeln.

Informationen: www.anwaltauskunft.de

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