Didacta 2021: Ein Messebesuch auf dem Sofa

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Dr. Peter Kührt war für uns zu Besuch auf der didacta DIGITAL 2021. In diesem Blog-Beitrag berichtet er von seinen Erfahrungen, die er auf der reinen Online-Messe gemacht hat, was gut lief und wo das Online-Format seine Schwächen hatte.

Die Didacta 2021 in Stuttgart, mehrmals verschoben, jetzt fand sie doch statt, allerdings online. Ich habe noch die lange Zugfahrt vor Augen, die vielen erwartungsvollen Lehrkräfte in der S-Bahn, den Gang zum Messegebäude, die erste Orientierung in den großen Hallen, wo sind meine Aussteller und mein Fachgebiet, sieht man schon bekannte Gesichter und wo gibt es Kaffee und Snacks?

2021 ist alles anders. Wie es in der Corona-Zeit üblich und notwendig ist, kann alles nur online stattfinden. Online-Anmeldung und erste Orientierung auf der Messe-Homepage sind problemlos. Die Website ist farblos, aber funktional. Ein erster Blick ins Programm wirkt etwas überfordernd. Es gibt noch mehr Angebote als sonst, viele davon parallel. Hilfreich ist, dass man die favorisierten Veranstaltungen in einer persönlichen Liste vormerken kann. Beherrschen sollte man dennoch die Suchfunktion im Browser, wenn man nicht immer wieder endlos scrollen möchte. Ein Ausdrucken aller Veranstaltungen und ein Markieren der interessantesten Angebote mittels Filzstift ist nicht mehr vorgesehen, vielleicht angesichts der vielen Veranstaltungen auch nicht mehr zweckmäßig und sowieso völlig "Old School". Etwas nervig ist, dass man beim Rücksprung von einer Veranstaltung immer wieder am Beginn der Endlosliste sämtlicher Veranstaltungen landet und nicht bei der gewählten Veranstaltung oder an der vorherigen Stelle auf der personalisierten Liste. Dadurch scrollt man immer wieder endlos von oben nach unten, bis man endlich die gewünschte Veranstaltung wieder gefunden hat.

Pro Tag sind es über 400 Veranstaltungsangebote, selbst nach der personalisierten Vorauswahl kommt man oft auf zwei bis drei parallele Veranstaltungen je halbe Stunde. Die Auswahl ist riesig. Aber das ist natürlich auch reizvoll und interessant und ermöglicht ein sofortiges Switchen, wenn ein Vortrag doch nicht den Erwartungen entspricht. Beim Vorhandensein von zwei Rechnern kann man auch problemlos zwischen zwei Veranstaltungen hin und her springen.

Trend zu kompletten Netzwerklösungen und Lernplattformen

Wie in Zeiten von Corona und ihrem Zwang zu digitalem und hybridem Unterricht zu erwarten war, dominieren die Hardware-, Netware- und Software-Angebote. Es gibt zahlreiche Vorträge zu digitalen Bildungsplattformen, Lernplattformen, Kommunikationsplattformen, Komplettlösungen für digitales Lernen, Hilfen und Tipps für Schulen zur digitalen Transformation und zur Inanspruchnahme der Mittel aus dem Digitalpakt. Dazu kommen digitale Apps zur Unterrichtsgestaltung, Unterrichtsorganisation, Zeitplanung sowie inner- und außerschulischen Kommunikation.

Besonders aufgefallen ist mir ein KI-gestütztes Tool, das die Erstellung eines für den Bildungspakt notwendigen Medienentwicklungsplanes per Handy und binnen zwei Stunden ermöglichen soll. Das kann und darf natürlich nicht die eigenen didaktisch-methodischen Überlegungen ersetzen, dürfte aber für die Antragstellung schon sehr hilfreich sein.

Komplette und fertige digitale Unterrichtseinheiten zusätzlich zu diesen digitalen Plattformen sind noch Mangelware; sie habe ich nur für Grundschulen bei einem Angebot aus der Schweiz entdeckt. Angeboten werden aber Module zur Erstellung eigener Learning Apps für Handys und Tablets. Die Erstellung sieht zwar noch etwas kompliziert aus, dürfte aber zumindest bei einfachen Aufgaben mit Lückentexten oder Zuordnungsaufgaben mit etwas Übung durchaus machbar sein. Das Procedere ist wohl so ähnlich wie bei schon existierenden Tools für den PC.

Neue Hilfen zur Erstellung interaktiver Unterrichtseinheiten erlauben immer schönere Gestaltungen von Lernmitteln und sogar kollaborative Arbeitsformen. Doch bereits die Demonstrationen auf der Messe lassen erahnen, dass selbst die modernste Software nur wenig an dem enormen Zeitaufwand für die Lehrkräfte ändert. Man fragt sich daher unwillkürlich, ob es wirklich sinnvoll ist, dass tausende Lehrkräfte im deutschsprachigen Raum zu den gleichen Themen stundenlang ähnlich tolle Arbeitsblätter und Aufgaben erstellen – aber das ist natürlich kein Vorwurf an die Anbieter, sondern an die Kultusbürokratien und die Organisation der Bildung in unserem Land.

Auffällig gegenüber früheren Bildungsmessen ist das völlige Fehlen der Coaching- und Outdoor-Angebote. Die meisten Messe-Präsentationen waren durchaus professional gestaltet. Dennoch gab es oftmals Tonprobleme, viel zu kleine Schriftgrößen und viel zu viele Grafiken auf den PowerPoint-Folien. Auch inhaltlich war die Spanne groß und ging von sehr guten, praxisnahen und kleinschrittigen Erläuterungen und Demonstrationen bis hin zu allgemeinen Werbeaussagen. Negativer Ausreißer war eine angeblich KI-gestützte didaktische Hilfe für Lehrkräfte, die nur beworben, aber nicht einmal ansatzweise erklärt wurde, was zu User-Kommentaren wie "Ist das alles?", "Kommt da noch was?", "Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?" führte. Mit inhaltslosen und großspurigen Werbeversprechen konnte man zu Loriots Zeiten vielleicht noch Staubsauger oder Weinpräsente verkaufen, dies ist aber sicherlich nicht mehr zeitgemäß.

Hilfreich bei allen Präsentationen war, wenn eine zweite Person neben dem Vortragenden im Chat gleich die Fragen und Anregungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmern beantworten konnte. Hier wäre es in Einzelfällen wünschenswert gewesen, wenn man die Diskussion hätte fortsetzen können. Allerdings war nicht zu übersehen, dass es im Chat generell zu sehr wenigen Interaktionen mit den Userinnen und Usern kam.

Ein bunter Strauß von didaktisch-methodischen Anregungen

Thematisiert wurden neben den technischen Rahmenbedingungen natürlich auch deren pädagogische Umsetzung und die Gelingensbedingungen für einen guten Unterricht. Von "Lernen im 21. Jahrhundert" und "Digital unterrichten" über "rassismuskritische Fachdidaktiken" und "Schönheitsideale im Internet" bis hin zu "Sexting", "Cybermobbing", "Brauchen Kinder Grenzen?" und "Hospizlernen" reichte hier das Angebot.

In diesem Kontext ist das Online-Format äußerst effektiv, ermöglicht es doch einen direkten Einblick in die Unterstützungsleistungen zahlreicher Initiativen und Beratungsstellen und dies binnen kürzester Zeit. Man kann sehr komprimiert und effektiv erleben, wie viele tolle freie und staatliche Angebote es inzwischen gibt, auf die Schulen zugreifen können. Didaktisch-methodische Schwerpunkte waren in der aktuellen Bildungssituation naturgemäß der "Hybride Unterricht", "Blended Learning" und die "Bildung für nachhaltige Entwicklung".

Leider standen bei vielen Vorträgen sehr viel Theorie, sehr allgemeine Ausführungen, viele Definitionen und abstrakte Diskussionen von Vor- und Nachteilen im Vordergrund. Ich als Lehrkraft hätte mir doch etwas konkretere oder zumindest praxisnähere Anstöße für den alltäglichen Fachunterricht gewünscht. Auch die Podiumsdiskussionen verblieben meist auf der Ebene allgemeiner Statements, Erfolgsmeldungen und Absichtserklärungen.

Gesamturteil

Die Online-Didacta ist sehr wohl eine tolle Informationsmöglichkeit, die man als Bildungsinteressierter nutzen sollte. Man kann in einem bunten Kaleidoskop von Vorträgen wählen und erhält binnen kürzester Zeit viele Einblicke, Anregungen und Tipps.

Selbst das Durchblättern der Ausstellerliste ist schon interessant, lernt man doch immer wieder neue bislang unbekannte Unternehmen und Organisationen kennen. Man kann damit auch gut die Pausen zwischen den Veranstaltungen füllen. Etwas nervig ist auch hier, dass der Zurück-Button immer wieder an den Anfang der Ausstellerliste springt. Ohne Suchen mit STRG+F scrollt man endlos. Die Suchfunktion der Website ist keine große Hilfe, da man hierfür den genauen Firmennamen benötigt, was in der Regel nicht der Fall ist.

Was bei dem neuen Online-Format der Messe aber eindeutig fehlt, sind die Stände der Verlage und sonstigen Aussteller. Persönlicher Kontakt, in Büchern blättern, ein Smalltalk am Stand, ein Display anschauen oder ein Sportgerät anfassen, das ist leider nicht möglich. Es gibt vor allem Vorträge und vereinzelt Podiumsdiskussionen. In Einzelfällen kann anschließend unter dem Motto "Ask the Speaker" in den Forenbereich gewechselt und mit den Dozierenden und den anderen Besuchenden kommuniziert werden. Die Teilnehmerzahl ist allerdings meist sehr überschaubar, und die Qualität der Diskussion hängt stark von den Besuchenden ab.

Ein sehr schönes Angebot wäre auch der angebotene "Networking-Bereich", der eine Diskussion mit anderen Besuchenden oder einzelnen Dozierenden ermöglichen soll. Er ist leicht zu betreten und nett gestaltet, wird aber von den Messebesuchenden bislang nicht angenommen, sodass man hier regelmäßig nur fünf oder sechs Ausstellende antrifft. Ich habe es nur ein einziges Mal erlebt, dass sich Dozent und Zuhörer nach einer Veranstaltung noch in diesem Networking-Bereich getroffen und ausgiebig diskutiert haben.

Möchte die Messe das individuelle Aufeinandertreffen von Messebesuchenden und ihre Diskussion fördern, müsste man unbedingt die Überleitung zum Networking aktiv fördern und zeitlich kanalisieren. Schon ein förmlicher Aufruf zur weiteren Diskussion in einem bestimmten Networking-Ram direkt nach einer Veranstaltung würde wahrscheinlich zu positiver Resonanz führen.

Eine Bereicherung wäre auch ein virtuelles, zufallsgeneriertes Speed-Dating nach den einzelnen Veranstaltungen, wie ich das ich auf einer anderen Plattform schon einmal erlebt habe. Dies nur als Anregung für den Messeveranstalter.

Insgesamt bleibt ein überaus und rundum positiver Gesamteindruck. Die Online-Messe ermöglicht einen leichten und schnellen Einblick in die vielfältigen aktuellen Angebote im Bildungsbereich. Und die Bilder von Menschenströmen beim Verlassen des Messegeländes und die Eindrücke von der Heimfahrt in überfüllten S-Bahnen mit hunderten von Kolleginnen und Kollegen mit ihren großen Tüten, Taschen und Rucksäcken voll bunter Lern- und Spielgeräte muss man sich eben selbst in Erinnerung rufen oder auf alten Fotos ansehen.

Ich freue mich schon auf das nächste Mal!