Jugendliche in Energiefragen ahnungslos

Fachartikel

Kennen Schülerinnen und Schüler den Unterschied zwischen Watt und Joule? Wissen sie, woher Deutschland das meiste Erdöl bezieht? Was hat die Windkraft mit der Sonne zu tun? Ein Test des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und der Mathematik (IPN) beantwortet diese Fragen. Das Fazit: Jugendliche in Deutschland wissen zu wenig über Energie. Vor allem interdisziplinäre Zusammenhänge bleiben unerkannt.

Energie bewegt, verändert, ermöglicht, treibt an. Sie ist Motor aller dynamischen Prozesse in der natürlichen und der vom Menschen gemachten Welt und wirkt in nahezu alle Bereiche unserer Lebenswelt hinein. In der Energiewende beispielsweise sind wissenschaftliche, technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse eng verwoben. Ihr Gelingen hängt auch von den Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger und ihrer Bereitschaft ab, das eigene Verhalten als Energienutzer zu ändern. Beides setzt eine umfassende Energiebildung voraus: Mündige Bürgerinnen und Bürger sollten in der Lage sein, sich mit den naturwissenschaftlichen, technischen, ökologischen und ökonomischen Aspekten des Themas Energie auseinanderzusetzen.

Energiebildung von Schülerinnen und Schülern im Test

In diesem Zusammenhang kommt der schulischen Bildung eine zentrale Rolle zu. Die RWE Stiftung hat daher das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und der Mathematik (IPN) in Kiel beauftragt, die Energiebildung von Schülerinnen und Schülern zu testen. Beteiligt haben sich 9. bis 11. Klassen in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Insgesamt haben fast 2.200 Schülerinnen und Schüler einen Bogen ausgefüllt, der Fragen zu folgenden Subthemen enthielt: Alltagswissen, innerfachliches konzeptionelles Verständnis (beispielsweise Erhaltung und Wandlung von Energie), quantitatives Verständnis von Energie (physikalische Größen und Größenordnungen), interdisziplinäres Verständnis, Energie in ökologischen sowie in ökonomischen und politischen Zusammenhängen.

Konzeptuelles Wissen unzulänglich

Mangelndes Verständnis von Energie in interdisziplinären Kontexten

Die Subtests zum handlungsrelevanten Alltagswissen und zu ökologischen Facetten fallen mit mehr als 50 Prozent richtiger Lösungen über alle Klassen hinweg relativ gut aus. Das fachlich-konzeptuelle Verständnis des Energiekonzepts im Rahmen von Energieerhaltung, Wandlung und Effizienz ist erst in der Klasse 11 zufriedenstellend ausgeprägt. Das Verständnis von Energie in interdisziplinären Kontexten ist dagegen unzulänglich. Das Wissen um ökonomische Aspekte der Energie zeigt keinerlei erkennbaren Zuwachs über die Klassenstufen hinweg. Auch die quantitativen Aspekte der Energie werden bis in die 11. Klassen nicht zufriedenstellend bewertet.

Beispiel: Energiewandlungsprozesse beim Fahrradfahren

Wie wenig tragfähig das im Unterricht erworbene konzeptuelle Wissen ist, zeigen exemplarisch die Antworten zu Energiewandlungsprozessen beim Fahrradfahren. In der Aufgabe geht es darum, sowohl physikalische als auch biochemische Wandlungsprozesse zu erkennen und die zutreffenden Energieformen zuzuordnen:

Wenn Sie mit dem Fahrrad auf ebener Straße kräftig in die Pedale treten und beschleunigen, dann spielen bei den Umwandlungsvorgängen verschiedene Energieformen zusammen. Dabei handelt es sich um:


Herstellen von Verknüpfungen im Unterricht unzureichend gefördert

Nahezu alle Schülerinnen und Schüler nennen die Bewegungsenergie. Die unvermeidliche Wärmeproduktion wird immerhin von mehr als der Hälfte erkannt. Dass die Lageenergie bei ebener Straße nicht in Erscheinung tritt, sehen nur noch knapp 40 Prozent. Für die meisten Schülerinnen und Schüler spielt in diesem Beispiel die chemische Energie als Quelle der Muskelkraft keine Rolle. Stattdessen sehen viele eine geheimnisvolle Lebensenergie in Aktion. Die Anwendung des Energiekonzepts auf chemische und biologische Prozesse stellt für die meisten Schülerinnen und Schüler eine hohe konzeptuelle Hürde dar. Da diese Schwäche generell erkennbar ist, muss man davon ausgehen, dass das Herstellen von Verknüpfungen über die rein physikalische Perspektive hinaus im Unterricht offenbar nur unzureichend gefordert und gefördert wird.

Größenordnungen und Einheiten der Energie

Kein belastbares Wissen über Maßeinheiten

Ein belastbares Wissen über Maßeinheiten der Energie ist ebenfalls nicht gegeben. Nur wenige Schülerinnen und Schüler erkannten, dass Kilowatt als Einheit der Leistung kein Energiemaß darstellt. Die Kilokalorie ist bei rund 60 Prozent als ein Energiemaß bekannt, das bei Angaben des Nährwerts gebräuchlich ist. Joule als mechanische Energieeinheit ist überwiegend korrekt wiedergegeben. Dagegen ist die Beziehung zum äquivalenten elektrischen Energiemaß Wattsekunde den Schülerinnen und Schülern weitaus weniger geläufig.

Beispiel: Leistung eines Wasserkochers

Qualitative Konzepte lassen sich nur dann sinnvoll in der Erfahrungswelt verankern, wenn sie auch mit quantitativen Vorstellungen einhergehen. Um sie zu erfassen, wurde nach der ungefähren Leistung eines Wasserkochers gefragt (vorgegebene Alternativen: 1 Watt, 10 Watt, 100 Watt, 1.000 Watt, 10.000 Watt). Die meisten Schülerinnen und Schüler lagen mit ihrer Schätzung von 100 Watt um eine Größenordnung daneben. Obwohl sie sich im Unterricht mit Fragen der Energie auseinandersetzen, sind klare quantitative Vorstellungen von energetischen Größenordnungen im Alltag einem Großteil der Schülerinnen und Schüler nicht geläufig.

Energiefragen im Kontext der belebten Welt

Dieses Defizit betrifft auch biologische Objekte wie den eigenen Körper. Die Jugendlichen haben keine klaren Vorstellungen davon, dass ein Mensch in Ruhe ungefähr einen Energiestrom von 100 Watt an die Umgebung abgibt und verschätzen sich um ein bis zwei Größenordnungen. Aus einer übergeordneten Perspektive ist bemerkenswert, dass Energiefragen im Kontext der belebten Welt für die Lernenden weitgehend unerschlossen bleiben. Dies ist ein fundamentales Bildungsdefizit, betrifft es doch auch den Bereich Ernährung und Gesundheit, der für unser individuelles Wohlergehen zentral ist.

In Kooperation mit

Innogy Stiftung

Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit der Innogy Stiftung.

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Prof. Dr. Manfred Euler

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