Erinnern an 1989

Der Historiker Maximilian Kutzner wurde 1989 geboren. Als Vertreter der um 1989 Geborenen setzt er sich kritisch mit der deutsch-deutschen Vergangenheit, den Jahren 1989/90 und der heutigen Erinnerungskultur auseinander.

Selbstverständlich ist, was Teil des Alltags ist […]. Die gleiche Sprache, die gleichen Interessen und Probleme verbinden eine Altersgruppe, für die die deutsche Teilung weit weg ist, […] Ich selbst bin in Rasdorf, im unmittelbaren Schatten der ehemaligen Grenzanlagen geboren. Natürlich kennt meine Generation die Erzählungen der Eltern und Großeltern, von Schüssen in der Nacht, Panzern auf Dorfstraßen und Tränen, als all dies überwunden war. Wir kennen die Bilder aus dem Fernsehen […]. Aber erlebt haben wir es nicht. Für uns ist es selbstverständlich, dass es ein vereintes Deutschland gibt […]. Das ist auch gut so. Die Wiedervereinigung ist ein historisches Geschenk. Die Mehrheit von uns hat es angenommen, indem wir 1989er die Mauer auch in den Köpfen abgeschafft haben.

Doch darin liegt zugleich ein Problem, denn der mahnende Charakter der Geschichte ist immer weiter zurückgetreten, je weniger über die deutsche Teilung in unserer Generation bekannt ist. Wir sehen Freiheit und Einheit als gegeben an, weil wir keine andere Situation kennen. […]

[Die Erinnerungskultur] muss den Aufbruch ins Digitale wagen. Denn soziale Medien sind längst Teil des Alltags. 280 Zeichen bei Twitter können bei uns mehr bewirken als eine fünfteilige Fernsehdokumentation über die DDR. […] Ein weiterer wichtiger […] Kanal sind Videoportale. […] Ein Beispiel: Der Enkel fragt Opa, wie das früher war, als er zum Dienst in der Nationalen Volksarmee (NVA) eingezogen wurde. Er zeichnet die Erinnerungen auf, verarbeitet sie zu einem Video, lädt die Sequenz hoch und teilt den Link mit seinen Freunden. So wird der Kern des kommunikativen Gedächtnisses, die Weitergabe von erlebter Vergangenheit von einer Generation zur nächsten, über digitale Kanäle einer breiten Masse zugänglich gemacht und zugleich konserviert.

(Quelle: Maximilian Kutzner, Die Generation 1989 und die deutsch-deutsche Vergangenheit - Ein Plädoyer zu Aufbrüchen in der Erinnerungskultur, in: Deutschland Archiv, 21.2.2019, Link: www.bpb.de/286431)