Die Generation von 1989
Die polnische Journalistin und Schriftstellerin
Anna Bikont und die polnische Soziologin Hanna Świda-Ziemba sprechen über die
Generation, die die Umbruchszeit erlebt haben und wie diese Zeit die
Jugendlichen beeinflusst hat.
Anna Bikont: Und so kommen wir zur
Generation der Wende.
Hanna Świda-Ziemba: […] Die
Angehörigen dieser Generation fühlen sich verloren, sind nachdenklich […]. Es
fehlt ihnen das Gefühl, durch eine gemeinsame Weltanschauung […] verbunden zu
sein. Obwohl sie in einer Zeit der großen Transformationen und stürmischen
Veränderungen […] leben, sind sie wenig an gesellschaftlichen oder
wirtschaftlichen Problemen interessiert […]. Interessanterweise verbinden die
Angehörigen dieser Generation ihre Vorstellungen vom Sinn des Lebens […] weder
mit Talent, noch mit Erfolg, noch mit dem materiellen Niveau ihrer
Lebensführung. [Sie] lehnen diese Werte ab. Das ist auch kaum verwunderlich.
Von allen Seiten waren zuvor gemeinschaftliche Werte propagiert worden – vom
Kommunismus […], von der Kirche […], von der Solidarnosc-Bewegung […]. Das
jedoch, was nun neu heraufzieht, ist im Verständnis dieser Generation gegen die
Gemeinschaft gerichtet. […]
Anna Bikont: [Die] darauffolgende
Generation [erscheint] die demokratische Welt bereits als natürliche,
selbstverständliche Umgebung […]. Auch diese Generation hat es keineswegs
leicht.
Hanna Świda-Ziemba:
Erstaunlich an dieser Generation sind die vielen inneren Widersprüche. Die
Feststellung die Jugendliche fühlten sich nicht als Generation, kann man
geradezu als [zentral] für diese Generation betrachten, obwohl es doch
eigentlich einen einfachen Bezugspunkt gibt: Es handelt sich um die erste
Generation seit dem Krieg, die im unabhängigen Polen heranwächst. Die
Jugendlichen dieser Generation fühlen sich nicht als Urheber der Werte, die sie
für am meisten verbreitet unter ihren Altersgenossen halten. […] Fragt man sie
hingegen nach den Werten, die für sie selbst am bedeutsamsten sind, so
antworten sie, am wichtigsten sei es, das Leben an moralischen Werten
auszurichten. […]
Anna Bikont: Und wie erklären sie den
Rechtstrend, der sich unter diesen Jugendlichen beobachten lässt?
Hanna Świda-Ziemba: […]
Ein Kind, aber auch ein junger Mensch braucht über den gesamten Zeitraum des
Heranreifens das Gefühl der Sicherheit. Das kann ihm vor allem durch eine klare
Struktur der umgebenden Welt vermittelt werden. Wo eine Vielzahl von
Weltanschauungen nebeneinander existiert und es kaum klare Wegmarken gibt, wo
im Grunde alles erlaubt ist, entsteht Sehnsucht nach einer sicheren Welt. Und
die Rechte [formuliert] klare, einfache Werte: Patriotismus, Religion, Moral.
Einige fühlen sich davon angesprochen.
(Anna Bikont & Hanna Swida-Ziemba, Acht mal Jugend -
Über polnische Jugend von 1945 bis zur jüngsten Generation, aus dem polnischen
von Christiane Brandau, in Jahrbuch Polen 2008, Hrsg. Deutsch-Polnisches
Institut, Darmstadt (2008), s. 133-135., bearb. d. Verf.)