Anregung interkultureller Lernprozesse

Hier erfahren Sie, wie Abwertungshaltungen gegenüber dem frankophonen Fremden im Französischunterricht entdeckt und bearbeitet werden können.

Förderung von Toleranz

Was ist Toleranz?

Tolerieren kann man nur etwas, was einem nicht nur fremd im Sinne von ungewohnt oder anders, sondern was einem fremd im Sinne von "spontan nicht akzeptabel" erscheint. Tolerant ist man dann, wenn das Gefühl überwunden wird, den Anderen ändern zu wollen und dessen Fremdheit anpassen zu müssen. Tolerieren kann man nur das, was man ablehnt und abwertet. Es kann keine konsequente Förderung und Erweiterung der "interkulturellen Kompetenz" geben, wenn nicht mit den Lernenden über die Dinge gesprochen wird, die wir aus unserer westlich-europäischen, deutsch-protestantischen Kultur oder Migrationskulturen an anderen Kulturen spontan nicht für akzeptabel und tolerierenswert halten.

Zentrale Fragestellungen

"Was werten wir an anderen ab?", sollte die zentrale Frage interkulturellen Lernens sein. Die Frage "Was könnten einige meiner Schülerinnen und Schüler an der francophonen Zielsprachenkultur abwerten?" ist des Weiteren die zentrale Frage für die Planung interkultureller Lernprozesse. Suchen wir das Gespräch mit den Lernenden über diese Fragen, stellen wir fest, dass es trotz aller vordergründiger Toleranz noch immer eine tief sitzende Abwertungshaltung gegenüber dem frankophonen Fremden gibt. Für den Französischunterricht gilt es, diese Phänomene zu entdecken und bearbeitbar zu machen.

Historische Betrachtung

Deutsch-französisches Verhältnis

Ein historischer Blick auf das deutsch-französische Verhältnis zeigt, dass es aus deutscher Sicht lange eine tief sitzende Polarisierung der europäischen Kultur in eine westlich-französisch-englische und eine deutsche Identität gegeben hat. Sie äußerte sich in dem Bestreben der konservativ-bürgerlichen Schichten, einen deutschen Sonderweg zu begründen, der versuchte, den französischen "Ideen von 1789" die deutschen "Ideen von 1914" in abwertender Abgrenzung entgegenzusetzen. Diese Polarisierung als verhängnisvolles Leitbild deutscher Identität mag zu weiten Teilen überwunden sein, dennoch gibt es weiterhin ein spezifisch deutsches Befremden.

Beispiele für deutsches Befremden

Es gibt ein deutsches Befremden zum Beispiel über:

  • Eliteschulen in Frankreich, die, anders als in Deutschland, eine Elite produzieren, die sich undemokratisch rekrutiert. In Deutschland hingegen kann es jeder schaffen.
  • die in Frankreich vorherrschende Staatsgläubigkeit, die es in Deutschland nicht gibt
  • die Streikbereitschaft und die Streikformen in Frankreich, die es in Deutschland in der Form nicht gibt. Dort gibt es keinen Konsens, sondern eine brutale, nahezu unzivilisierte Konfliktkultur.
  • die "Sprachlernarroganz" der Franzosen, die keine fremden Sprachen lernen wollen und mit nationalistischen Radioquoten den Markt für musikalische Produkte verfälschen
  • die Beschimpfungen Deutschlands sowie der deutschen Politik als "cancer de l'Europe", die aus Sicht führender linker Politiker und Wirtschaftswissenschaftler in Frankreich zum Auseinanderbrechen des Euroraumes führen wird
  • die Kleinkindpädagogik (und autoritäre Pädagogik allgemein), die die Kinder früh aus den Familien zwingt und in Vorschulen (anstelle von behütenden Kindergärten) einem nicht kindgemäßen Lerndruck aussetzt
  • die französische Schulpädagogik in ihrer autoritären, dozierenden Form

Anhaltende Furcht vor dem Fremden

Bislang, so könnte vermutet werden, verhindert eine noch immer anhaltende Furcht vor dem Fremden letztlich, dass das Irritierende des Fremden im Französischunterricht behandelt wird. Anknüpfungspunkte gäbe es, wie skizziert, genug.

Neue Perspektiven eröffnen um Kulturalisierungen zu überwinden

Interkulturelle Bildungsarbeit muss vermeiden, Kulturen als etwas Homogenes darzustellen, denn Kulturen sind keine Naturgemeinschaften, die allen Individuen klare Eigenschaften zuordnen. Menschen organisieren sich immer weniger entlang nationaler Herkunft. Wir leben in einer Epoche zunehmender Individualisierung und einer stetigen kulturellen Veränderung (vgl. Sarma 2012).

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Dr. Achim Schröder

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