Sinnfluencer – Das Greenwashing des Influencer Marketings?

Fachartikel

Dieser Fachartikel zum Thema "Sinnfluencer" ermöglicht es Lehrenden einen Einblick über die neuen Kommerzialisierungsstrukturen des Influencer Marketings zu erlangen. In der Unterrichtspraxis sollten die Themen, die Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer kommerzialisieren, mit Lernenden diskutiert und reflektiert werden, um den Schülerinnen und Schülern ein ganzheitliches Verständnis über die Kommerzialisierungsabsichten der Influencer-/Sinnfluencerschaft zu vermitteln.

Im Jahr 2019 löste der Spendenaufruf der Influencerin Louisa Dellert eine Welle der Empörung aus. In einem ihrer Instagram-Videos bat die Meinungsführerin ihre Followerschaft um finanzielle Unterstützung, um sich eine BahnCard 100 kaufen zu können (Kostenpunkt circa 4000 Euro) (Fernholz 2019). Die Folge: großes Unverständnis. Dies ist insofern nachvollziehbar, steht das Influencer Marketing doch immer wieder in der Kritik, sich auf ein undurchschaubares Geschäftsmodell zu stützen. Zu dieser Kritik trägt auch die Tatsache bei, dass Influencerinnen und Influencer mit ihren Produktempfehlungen insbesondere junge Konsumenten adressieren, die in ihren Konsumentscheidungen meist noch wenig gefestigt sind.

Influencer Marketing

Das Influencer Marketing entstand in den letzten Jahren aufgrund der Interessenslosigkeit von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegenüber traditionellen Werbeformen. Sogenannte Influencerinnen und Influencer, die heutzutage eine starke Anhängerschaft verzeichnen können, vermarkten erfolgreich über Social-Media-Plattformen Produkte von namhaften Unternehmen (Reinikainen et al. 2020). Für die Produktvermarktung werden die reichweitenstarken Meinungsführerinnen und Meinungsführer von Unternehmen entgeltlich bezahlt und/oder erhalten kostenlose Produktproben. Zwischen den Unternehmen und den werbenden Influencerinnen und Influencern entstehen Kooperationen, die sie dazu verpflichten in Postings oder Videos das jeweilige Unternehmen meist mehrmalig zu erwähnen sowie deren Produkte zu platzieren. Bianca Claßen (bekannt als BibisBeautyPalace) zeigt regelmäßig ihre Shoppingausbeute in sogenannten Hauls. Auch Let's Plays, das Kommentieren von Videospielen, sind bei Jugendlichen sehr beliebt und haben kommerziellen Charakter. Das Influencer Marketing wird vor allem von Medienpädagoginnen und Medienpädagogen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oftmals als kritisch beleuchtet, weil insbesondere Heranwachsende das Vorgehen von Influencerinnen und Influencern nicht immer als Marketing-Strategie erkennen können (Ziewiecki und Schwemmer 2019). Autoren wie De Veirman et al. (2019) und Reinikainen et al. (2020) führen dies auf die fehlende Werbe- und Medienkompetenz junger Konsumenten zurück.

The New Influencer Marketing? Zero Waste & Minimalism

Galten zunächst Branchen wie Beauty und Fitness als Heimat der digitalen Meinungsführer, kristallisieren sich nunmehr weitere Themengebiete heraus, die sich dem Influencer Marketing bedienen. Mit an der Spitze sind Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein. Einige Influencerinnen und Influencer appellieren immer stärker an ihre Followerschaft sich dieser "Bewegung" anzuschließen und benennen sich teilweise selbst als sogenannte "Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer" (also Influencerinnen und Influencer, die sinnvolle Inhalte teilen). Sie widmen sich dabei Inhalten wie dem Veganismus, plastikfreiem Leben, Politik, Secondhandshopping oder auch ökologischer Produktion. Hierbei versuchen Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer ihren Followerinnen und Followern einen nachhaltigeren und minimalistischen Lebensstil zu vermitteln und somit weniger beziehungsweise bewusster zu konsumieren (Garff und Kochwasser 2019). Zunächst scheint dies ein Widerspruch zum Grundsatz des Influencer Marketings zu sein, steht überwiegend der Konsum im Fokus des Influencer Marketings.

Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer – Das Greenwashing des Influencer Marketings?

Sinnfluencer-Themen ähneln dem ursprünglichen Verständnis des Influencer Marketings insofern, dass die Beiträge über Zero Waste oder Minimalismus zunächst weniger kommerziell geprägt scheinen. Auch die ersten Influencerinnen und Influencer-Beiträge wurden ohne werbliche Zwecke veröffentlicht (Gerhards 2017). Erst im Laufe der Zeit haben Influencerinnen und Influencer nach Wegen gesucht, um ihre Inhalte zu vermarkten. So lässt sich heute erkennen, dass auch Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer Werbung für Produkte machen. Dabei handelt es sich meist um nachhaltige oder plastikfreie Produkte (Kugler 2020). Wenn auch zu bedachtem Konsum unter der Sinnfluencerschaft angeregt wird, steht das Thema dennoch in einem Spannungsfeld (Garff und Kochwasser 2019). Insgesamt ist festzuhalten, dass auch Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer nach Kommerzialisierungsformen suchen, weil sie langfristig nur durch Werbeeinnahmen ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Förderung von Werbe- und Medienkompetenz

Um bei Heranwachsenden ein Verständnis für die Kommerzialisierung von Sinnfluencerinnen und Sinnfluencern zu schaffen, benötigt die meist sehr junge Zielgruppe Unterstützung von Lehrenden. So fordert der Beschluss der Kultusministerkonferenz des Jahres 2013 Verbraucherbildung an deutschen Schulen. Verbraucherbildung ist dabei als lebenslanger Prozess zu verstehen, der im Rahmen der immer wieder neuaufkommenden Professionalisierungsstrukturen auf Social Media auch Werbe- und Medienkompetenz in diesem Bereich erfordert (Kultusministerkonferenz 2013). Unter Werbekompetenz oder "advertising literacy" wird "the process by which young people develop consumer-related skills, knowledge, and attitudes" verstanden (Moschis und Churchill 1978: 599). Somit handelt es sich um Fähigkeiten und Fertigkeiten die Lernende über Werbemaßnahmen erlernen müssen. Insbesondere das Erkennen von Werbung im Influencer Marketing stellt sich für Minderjährige als schwierig heraus. Die neue Bewegung der Sinnfluencerschaft macht es für Jugendliche noch komplizierter zu verstehen, dass das Influencer Marketing werbliche Zwecke verfolgt. Folglich muss die kritische Diskussion von werblichen Inhalten von Influencerinnen und Influencern beziehungsweise von Sinnfluencerinnen und Sinnfluencern durch Lehrende und Medienpädagoginnen und Medienpädagogen begleitet werden, um unter Jugendlichen ein ganzheitliches Verständnis dafür zu schaffen.

Handlungsempfehlungen für die Unterrichtspraxis

Um zu verhindern, dass Heranwachsende sich zu stark von den Marketing-Strategien ihrer Vorbilder beeinflussen lassen, sollten Monetarisierungsoptionen des Influencer Marketings auch im Unterricht thematisiert werden. Lehrkräfte sollten dabei die Thematik in ihre Unterrichtspraxis aufnehmen. Denkbar wäre den Spendenaufruf der Influencerin Louisa Dellert aufzugreifen und die Problematik mit den Heranwachsenden zu diskutieren. Im Fach Politik lässt sich zudem das Instagram-Profil der genannten Influencerin dahingehend analysieren, dass Dellert mittlerweile auch politische Themen zielgruppengerecht anspricht. Eine Profilanalyse durch die Heranwachsenden schafft die Möglichkeit, ein Verständnis für politische Sinnfluencer-Beiträge unter den Jugendlichen zu erlangen. Im Fach Wirtschaft und Recht bietet es sich an, dass neben den traditionellen Werbemaßnahmen, auch die Kommerzialisierungsstrukturen auf Social Media stärker in die Unterrichtspraxis einfließen (siehe Unterrichtsmaterialien zu diesem Thema). Das Fach Deutsch ermöglicht, Sinnfluencer-Beiträge rhetorisch zu analysieren. Hierbei könnte der Fokus einer Unterrichtsstunde sein, auch fächerübergreifend mit dem Fach Wirtschaft und Recht, der Fragestellung nachzugehen, auf welche Art und Weise Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer den Konsum ihrer vorgestellten Produkte unter der Followerschaft rechtfertigen. Auch in Form eines Rollenspiels könnten Schülerinnen und Schüler die Position einer Sinnfluenerin beziehungsweise eines Sinnfluencers einnehmen und nachhaltige Produkte subtil an ihre Mitschülerinnen und Mitschüler vermarkten. Aus der Lehrenden-Rolle ist es unerlässlich, die Schülerinnen und Schüler dabei zu begleiten, wenn sie ihre Kenntnisse über die Monetarisierungsformen des Influencer Marketings erweitern. Für den Fall, dass Lehrende hierbei selbst Unterstützung benötigen, können auch Realbegegnungen mit Marketingexperten in den Unterricht einfließen beispielsweise in Form von Expertenbefragungen. All die genannten Handlungsempfehlungen sollen dabei unreflektierten Konsumentscheidungen junger Verbraucherinnen und Verbraucher entgegenwirken.

Literaturverzeichnis

  • De Veirman, Marijke, Liselot Hudders und Michelle R. Nelson (2019). "What Is Influencer Marketing and How Does It Target Children? A Review and Direction for Future Research". In: Frontiers in Psychology 10. 1-16.
  • Fernholz, Denise (2019). "Luisa Dellert kassiert Shitstorm wegen Crowdfunding – das sagt sie selbst dazu". Welt.Online.
  • Garff, Franca und Thomas Kochwasser (2019). "Sinnfluencer: Neue Wege in die Nachhaltigkeitskultur". t3n.Online.
  • Gerhards, Claudia (2017). "Product Placement on YouTube: An Explorative Study on YouTube Creators' Experiences with Advertisers. In: Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies 25. 1-18.
  • Kugler, Nina (2020). "Sinnfluencer wollen nicht mehr nur reine Werbebotschafter sein". Welt.Online.
  • Kultusministerkonferenz (2013). "Verbraucherbildung an Schulen. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.09.2013". Kultusministerkonferenz. Online.
  • Moschis, George P. und Gilbert A. Churchill (1978). "Consumer Socialization: A Theoretical and Empirical Analysis" In: Journal of Marketing Research 15:4. 599-609.
  • Reinikainen, Hanna, Juha Munnukka, Devdeep und Vilma Luoma-aho (2020). "You Really Are a Great Big Sister' – Parasocial Relationships, Credibility, and the Moderating Role of Audience Comments in Influencer Marketing". In: Journal of Marketing Management 32:1. 279-298.
  • Ziewiecki, Sandra und Carsten Schwemmer (2019). "Die Vernetzung von Influencern – eine Analyse der deutschen YouTube-Szene". In: MerzWissenschaft 63:6. 18-28.

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Sandra Ziewiecki und Lisa M. Ross

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