Der Bock. Das zum Gerät gewordene Unheil.

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Sport-Unterricht. Jeder, der sich an seine eigene Schulzeit zurückerinnert, weiß, dass es im Sportunterricht diesen einen besonders fiesen Gegner gab: den Bock. Kein anderes Sportgerät sorgte für mehr Angstschweiß und besorgte Gesichter. Besonders hinterhältig war die Tatsache, dass man beim Beobachten des Scheiterns seiner Mitschülerinnen und -schüler am Gerät zwar einerseits herzlich und teilweise auch voller Spott lachte, dann aber selbst hilflos genau jenem Spott ausgesetzt war, wenn man selbst zum Anlauf ansetzte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Bock – ein scheinbar nicht zu bezwingender Hühne. Ein schmerzvoller Begleiter in jeder Turneinheit. Das zum Gerät gewordene Unheil.

Schon bei der Begrüßung fragen mich die Kinder, was das denn für ein komisches Ding da in der Turnhalle ist. Wozu kann das nur gut sein? "Das ist ein Bock, liebe 1b. Und über einen Bock springt man. Mit Anlauf." Ich führe die Klasse an das Sportgerät heran, turne vor, zeige, wie man das Sprungbrett richtig nutzt, sich am Bock festhält, den Schwung mitnimmt, über das Gerät kommt und anschließend sicher und sauber landet. Easy. Ganz einfach. Die Kinder staunen. "Das schaffen wir nieeeeemals!" "Doch. Das schafft ihr. In die Hände gespuckt, Kopf hoch, Brust raus und los geht's!"

Bjarne ist als erster an der Reihe. Ich erkenne bereits aus der Ferne seinen sorgenvollen Blick. Aber er ist hochmotiviert und rennt los. In der Halle herrscht gespenstische Ruhe. Alle Augen sind auf Bjarne gerichtet. Zur Sicherheit stehe ich neben dem Bock und bin auf alles gefasst. Jedenfalls denke ich das. Bjarne hat mächtig Tempo drauf. Er will es wissen. Leider springt er nicht auf dem Sprungbrett ab, sondern davor. Suboptimal. Mit voller Wucht springt er also nicht über, sondern gegen den Bock. Diesen umarmend, schaut er mich an. "Das tat weh, Herr Klafki." "Das glaube ich dir, mein Lieber." Ich löse die Umarmung zwischen Bock und Bjarne, streichele ihm aufmunternd über den Kopf und meine: "Das ging mir beim ersten Mal genauso. Alles gut. Beim nächsten Mal wird es besser!" "Ich schaffe das!" Motivationsbiene für Bjarne.

Als nächstes ist Susi dran. Sie stürmt heran, springt richtig ab und landet sicher auf dem Bock. Hervorragend. Darauf kann man aufbauen. Susi ist zufrieden und ich bin es auch. Jetzt Jamie-Lee Müller. Angst kennt der nicht. Auch er will es wissen. Auch er stürmt los und springt richtig ab. Aufgrund seiner Schwungmasse schießt er jedoch über das Ziel hinaus und fliegt über den Bock. Er landet liegend. Aber er hat es geschafft. Mit Schmackes. Ich helfe ihm hoch, klatsche mit ihm ab und sage: "Du hast den Bock bezwungen! Das ist das Wichtigste. An der Landung arbeiten wir noch. Aber: top Leistung!" In der Folge schafft es kein weiterer Schüler über den Bock. Die meisten landen aber sicher auf ihm. Das lasse ich gelten. Das finde ich gut. Als Letzter ist Felix dran. Er nimmt Anlauf und visiert das Sprungbrett an. Übermotiviert springt er jedoch nicht auf das Brett, sondern dahinter. DAHINTER. Das muss ihm erstmal einer nachmachen. Er rutscht aus und landet schließlich unter dem Bock. UNTER DEM BOCK. Auch das halte ich für einzigartig. "Felix? Alles gut?" "Ja, Herr Klafki. Aber wie ist das denn bitte passiert?" "Pass auf, Felix: Beim nächsten Mal achtest du einfach darauf, dass du AUF dem Sprungbrett landest und nicht dahinter, ok?" "Ok, Herr Klafki. Darf ich gleich nochmal?" Wow. Was für ein Wille. So bezwingt man das zum Gerät gewordene Unheil. Ganz sicher. Irgendwann.

Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.